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Archiv-Artikel

Friedensverträgliche Berufsarmee

Die neuen Funktionen der Bundeswehr sind ein zweischneidiges Schwert. Aber wer die Wehrpflicht abschaffen will, ist noch lange nicht automatisch ein Kriegstreiber

Ungewiss ist, wozu in ein paar Jahren andere die neue Interventionsfähigkeit nutzen

Die Wehrpflicht schrumpft und bröckelt. Aber etliche, die früher die Wehrpflicht abgelehnt und zumindest den Kriegsdienst verweigert haben, sehen das heute mit Unbehagen. Befürchtet wird, dass mit der Abschaffung der Wehrpflicht eine letzte Hemmschwelle vor Interventionen in aller Welt fällt. Patrik Schwarz spitzte das in der taz (16. 1. 04) gar darauf zu, dass die alten Argumente gegen die Wehrpflicht „geradewegs in die neuen Kriege führen“. So problematisieren Skeptiker einer Berufsarmee die Intentionen, Risiken und Nebenwirkungen eines Ausstiegs aus der Wehrpflicht, so fordern sie, über der Frage der Wehrform nicht die friedenspolitische Brisanz der Bundeswehrreform zu ignorieren. Auffällig ist aber, wie viele gestandene Antimilitaristen dabei die Wehrpflicht idealisieren und die Rückkehr der Bundeswehr zur alten Landesverteidigung fordern.

Zur Erinnerung: In ihrem Kern ist die Wehrpflicht das Rekrutierungssystem für Massenarmeen. Sie bedeutet einen massiven Eingriff in die Grundrechte junger Männer. Das kann der Staat – wenn überhaupt – nur einfordern, wenn es zur Sicherheit der Bundesrepublik zwingend erforderlich ist. Davon kann keine Rede mehr sein. Die Wehrpflicht muss laut Bundesverfassungsgericht eine „allgemein belastende Pflicht“ sein. Wo inzwischen weniger als 20 Prozent eines Jahrgangs zum Wehrdienst eingezogen werden, kann auch davon keine Rede mehr sein.

Die Grundwehrdienstleistenden stehen der Bundeswehr nach ihrer Ausbildung nur etwa drei Monate auf Funktionsposten zur Verfügung. Zugleich binden die Wehrpflichtigen viel Personal und Ressourcen. Insofern blockiert die Wehrpflicht eine finanzierbare Bundeswehrreform. Die Abschaffung der Wehrpflicht und eine Reduzierung auf maximal 200.000 Soldaten würden einen effizienteren Einsatz begrenzter Finanzmittel erlauben, würden mehr Raum schaffen für notwendige Modernisierungen. Das heißt aber keineswegs, dass mit der Wehrpflicht auch letzte Hemmungen gegenüber einem globalen Interventionismus fallen würden.

Grundwehrdienstleistende wurden bisher nicht zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr herangezogen. Schon deshalb spielte die Frage der Wehrpflichtigen bei den vielen Einsatzentscheidungen des Bundestags keine Rolle. Ausschlaggebend waren immer die sicherheitspolitische Dringlichkeit der Einsätze, ihre Rechtmäßigkeit und die Verantwortbarkeit gegenüber den Soldaten, unabhängig von ihrem Status.

Das Loblied auf die Wehrpflichtigen geht oft einher mit einem Generalverdacht gegenüber Zeit- und Berufssoldaten, als wären diese verkappte Söldner oder Marines. Mit dem Grundprinzip des „Staatsbürgers in Uniform“ gibt es bei Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr so viel Rechtsstaatsbewusstsein, politische Mündigkeit und Integration in die Zivilgesellschaft wie bei nur wenigen anderen Armeen. Solche Soldaten stellen hohe Ansprüche an die Legitimität von Einsätzen. Die Teilnahme der Bundesrepublik am Kosovokrieg war auch für viele Soldaten eine Grenzerfahrung. Eine Beteiligung der Bundesrepublik am Angriffskrieg gegen den Irak hätte zu Brüchen in der „Armee der Inneren Führung“ geführt.

Der Bundeswehrauftrag hat sich unwiderruflich gewandelt: weg von der nicht mehr aktuellen Landesverteidigung hin zu Krisenverhütung und -bewältigung. Der Auftragswandel wurde notwendig angesichts der Erfahrungen mit innerstaatlichen Kriegen auf dem Balkan und anderswo. Die multinationalen Kriseneinsätze der Bundeswehr auf dem Balkan und in Afghanistan sind UN-mandatiert, dienen der Kriegs- und Gewalteindämmung und sollen politische Stabilisierung und Friedensprozesse absichern. Diese sind in der Bevölkerung hoch akzeptiert. Zehn Jahre nach der Belagerung von Sarajevo und nach dem Völkermord in Ruanda sind das richtige Konsequenzen.

Die „Transformation“ der Bundeswehr soll die Fähigkeit zu solchen Stabilisierungseinsätzen verbessern. Hierfür sind 70.000 Soldaten vorgesehen. Zusätzlich sollen 35.000 Mann Eingreifkräfte aber eine große Interventionsfähigkeit erbringen. Das entspricht den Anforderungen von EU, Nato und UN. Als wichtiges Mitglied der UN muss die Bundesrepublik einen angemessenen Beitrag zur internationalen Friedenssicherung im gesamten Aufgabenspektrum leisten können. Aber die neuen Fähigkeiten sind ein zweischneidiges Schwert!

„Grundgesetz und Völkerrecht bilden die Grundlage für alle Einsätze der Bundeswehr“, so die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR). Ihr erweiterter Verteidigungsbegriff verwischt aber die elementare Unterscheidung zwischen nationaler bzw. kollektiver Selbstverteidigung und UN-legitimierter internationaler Friedenssicherung. Wenn es in den VPR heißt, die Notwendigkeit der Beteiligung der Bundeswehr an multinationalen Einsätzen könne sich „weltweit und mit geringem zeitlichem Vorlauf ergeben und das gesamte Einsatzspektrum“ umfassen, dann stimmt das aus UN-Sicht. Es macht zugleich misstrauisch. Patrik Schwarz sieht hier „rot-grüne Kriegsplanung“ und die Bundeswehr auf dem Weg zum „Global Player“.

Das ist ganz und gar nicht die Absicht eines Ministers Struck und erst recht nicht die von Rot-Grün. Auf einem anderen Blatt steht, was in einigen Jahren andere mit der Interventionsfähigkeit machen. Deshalb ist jetzt die Einhegung des Instruments Militär umso dringlicher.

Eindeutiger Rechtsrahmen von Bundeswehreinsätzen sind das Grundgesetzes, die Charta der UN und das Völkerrecht. Das Grundgesetz ist mit seinem Verbot des Angriffskriegs hochaktuell, mit der Benennung der Bundeswehraufgaben (Vorrang der Verteidigung) aber keineswegs mehr. Und die Parlamentsbeteiligung beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte muss gesetzlich fixiert werden, ohne sie dabei aufzuweichen.

Eine Beteiligung am Angriffskrieg gegen den Irak hätte zu Brüchen geführt

Eine Klärung ist überfällig, was Militär überhaupt im Rahmen einer Außen- und Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik sein soll, leisten kann und was nicht. Militäreinsätze sind besonders teuer und riskant. Kampfeinsätze sind ein tückisches Mittel und bleiben ein großes Übel. Faktische Grenzen für den Gebrauch des Militärs setzen die Höhe des Militäretats und eine lebendige innere Führung. Tatsächliche Staatsbürger in Uniform sind für Einsätze außerhalb der Ziele und Regeln der UN nicht zu gebrauchen. Außerdem bedarf es einer Öffentlichkeit, die sich mit den Streitkräften auseinander setzt, und einer Friedensbewegung, die sich Gehör verschafft.

Die Bundeswehr macht zurzeit die radikalste Reform seit ihrer Gründung durch. Damit sie der kollektiven Sicherheit dient und nicht einem Interventionismus Vorschub leistet, ist jetzt eine breite Debatte in Politik und Gesellschaft nötig. Dabei steht kaum noch das Ob des Ausstiegs aus der Wehrpflicht zur Diskussion, sondern wie er friedensverträglich gestaltet werden kann.

WINFRIED NACHTWEI