: Sklavenhandel als Saga aus dem Schwabenland
Jo Baier erzählt eine düstere Geschichte aus der deutschen Vergangenheit in noch düstereren Farben: „Schwabenkinder“ (20.15 Uhr, ARD)
Eine schreckliche Geschichte: Ein Vater verkauft seinen achtjährigen Sohn, weil er das Geld zum Leben braucht. Jo Baiers Film „Schwabenkinder“ spielt Ende des 19. Jahrhunderts, unter den Bergbauern Tirols herrscht eine schlimme Hungersnot. Kaspars Mutter stirbt durch eine Lawine, dem elterlichen Hof fällt so ihr magerer Verdienst als Schneiderin auch noch weg. Sein Vater (Vadim Glowna) entschließt sich schweren Herzens, den Sohn Kaspar (Thomas Unterkircher) für 40 Mark einen Sommer lang als „Arbeitskraft“ ins Schwabenland zu verschachern. Aber Kaspar kommt nicht mehr zurück, denn er wird auf einer Art Sklavenmarkt an einen brutalen Bauern (Jürgen Tarrach) verkauft und furchtbar schikaniert, bis er es schafft, abzuhauen – er wandert nach Amerika aus. Seiner Familie wurde derweil längst sein Tod mitgeteilt.
Zwanzig Jahre nach der Tortur kehrt Kaspar als erwachsener Mann zurück zum Bauernhof seiner Kindheit, wo seine Schwester immer noch lebt und sein Vater inzwischen im Sterben liegt. In traurigen Rückblenden erzählt der Film das Schicksal des Tiroler Jungen, der sich in einer Welt durchschlägt, in der er weniger wert ist als ein Strohhaufen. Und die Pein der anderen Schwabenkinder, die, teilweise als billige Arbeiter, teilweise als billige Adoptivkinder, der Gnade ihrer KäuferInnen ausgeliefert waren.
Bis 1915 gab es den Sklavenhandel im Schwabenland. In braunweißen, tristen und eindrucksvollen Bildern und mit manchmal schon fast unverständlich-authentischem Dialekt gibt Jo Baier vorsichtig die Geschichte einer totalen Menschenrechtsverletzung preis. Die Besetzung des kleinen Kaspar war dabei reiner Zufall: Der Regisseur stolperte in seinem Ferienflieger über den Jungen aus Tirol, der gerade – wie Baier – in den Urlaub fahren will und genau den Dialekt und das Aussehen mitbringt, das man gesucht hat. Und Tobias Moretti, dessen Popularität in Deutschland vor allem auf der Schlaue-Krimitöle-Serie „Kommissar Rex“ fußt, darf endlich mal zeigen, was in ihm steckt: Als „Herr Kooperator“, der überforderte und hilflose Pfarrer, bringt er die Kinder auf die beschwerliche Reise durch die schneebedeckten und unzugänglichen Berge zum Kindermarkt nach Ravensburg.
Dieser Film ist so durchgehend traurig, dass man nur hin und wieder mal kurz hochschluchzt, wenn die Musik allzu dick aufgetragen ist – sie wäre in dieser Dramatik absolut nicht nötig gewesen, denn die Bilder der wimmernden und gepeinigten Kinder sprechen für sich. Mit der kitschigen, fast klerikalen Tonuntermalung kriegt der Film so manchmal eine überflüssige geistliche Note.
Im Gegensatz zu der Sprache: Ganz klar wird einmal mehr, wie sehr regionale Idiomfärbungen die Authentizität einer Story verstärken können – wenn die DarstellerInnen im bekannten, schlimmen Fernsehhochdeutsch sprechen würden, glaubte man ihnen nicht eine Träne. So aber leidet und zittert man mit, von Anfang bis zum nur mäßig glücklichen Ende. Eine traurige und unfaire Geschichte halt. JENNI ZYLKA