: Neue Realitäten für Außenminister Gül
Heute wird erstmals ein geteiltes Land Mitglied der EU: die Republik Zypern. Das ist ein Problem für die Türkei
ISTANBUL taz ■ Trotz heftiger Kritik aus den Reihen der Opposition und der außerparlamentarischen Nationalisten reist der türkische Außenminister Abdullah Gül heute zu dem EU-Gipfeltreffen nach Athen. Dort wird er mit einem Problem konfrontiert, das auf die türkische Außenpolitik nun regelmäßig zukommen wird. Mit der feierlichen Unterzeichnung der Beitrittsurkunde für zehn neue EU-Mitglieder wird die Türkei ab jetzt regelmäßig auch mit einem Land verhandeln müssen, das sie diplomatisch gar nicht anerkennt. Die Republik Zypern, die de facto nur den griechischen Teil Zyperns umfasst, wird international als legitime Regierung der gesamten Insel angesehen, außer von der Türkei. Da die Türkei als einziges Land die Republik Nordzypern als Staat anerkennt, spricht sie der „griechischen Regierung“ das Recht ab, für die gesamte Insel zu sprechen.
Der heutige Mittwoch wird deshalb nicht nur als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem die EU-Staaten ihre Unterschrift unter den Beitritt zehn weiterer Staaten setzen, sondern auch als erster Tag, an dem ein geteiltes Land Mitglied der Union wird. Bis zuletzt hatte es noch Versuche gegeben, diese problematische Situation zu vermeiden. Nachdem die vom UN-Generalsekretär Annan geführten Verhandlungen für eine neue gemeinsame Republik Zypern im März im Wesentlichen am Widerstand des türkischen Volksgruppenführers Denktasch gescheitert waren, hatte im Anschluss zunächst Denktasch und dann der türkische Ministerpräsident Erdogan noch einen Vorstoß gemacht, um doch noch den alleinigen Beitritt des griechischen Teils Zyperns zu verhindern.
Während Denktasch nur der Form halber seinem neuen Gegenüber Tassos Papadopoulus ein Angebot machte, das dieser leicht ablehnen konnte, warb Erdogan am Rande des Balkan-Gipfels letzte Woche bei seinem griechischen Kollegen Simitis für einen Zypern-Gipfel, auf dem sowohl die beiden zypriotischen Kontrahenten wie auch die alten Garantiemächte Griechenland, Großbritannien und Türkei vertreten sein sollten.
Simitis lehnte dies ab, weil er die Zyperntürken nicht als gleichwertige Verhandlungspartner aufwerten wollte, und verwies Erdogan auf den vorliegenden Annan-Plan als weitere Gesprächsgrundlage. Da Erdogan kaum gehofft haben dürfte, dass Simitis in letzter Minute noch einmal bereit sein würde, neue Verhandlungen über Zypern aufzunehmen, zeigt dieser Vorstoß vor allem eins: Der Regierung in Ankara dämmert es allmählich, dass ihr die Zypern-Frage in den kommenden Jahren vielleicht mehr zu schaffen machen wird als die kurdischen Autonomiebestrebungen im Nordirak. Denn ohne eine Lösung in der Zypern-Frage wird es keine Beitrittsverhandlungen mit der EU geben. Das hat einmal die EU-Kommission klargemacht, vor allem aber wird jetzt die Republik Zypern selbst mitbestimmen, ob die EU mit der Türkei verhandelt. JÜRGEN GOTTSCHLICH