: Cousin oder Bruder
Anwalt beklagt Abschiebung eines Afrikaners, dessen Herkunft im Dunkeln liegt. Flüchtlingsrat sieht „systematische Konstruktion von Identitäten“
Von EVA WEIKERT
Ein p und ein f sollen des Rätsels Lösung sein. Nach mehreren Versuchen ist es der Ausländerbehörde jetzt gelungen, den Afrikaner Maurice Zongo (Name geändert) abzuschieben – „dank eines äußerst fragwürdigen Identitätsnachweises“, wie Anwalt Mark Nerlinger rügt. Ein wichtiger Baustein darin ist nach Ansicht der Behörde die Buchstabenfolge pf. Auf Grund der Annahme, sie stehe für „petit frère“ – zu Deutsch: kleiner Bruder – konstatierte die Behörde die Herkunft des Flüchtlings. Dies ist Voraussetzung für eine Abschiebung. „Der Nachweis ist schwer nachvollziehbar“, moniert Nerlinger. Zugleich habe die Behörde kein Recht, das Handy seines Klienten zu beschlagnahmen. Der Flüchtlingsrat warnt: „Zongo ist kein Einzelfall.“
Neun Monate saß der abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft, bevor er am 11. Februar ausgeflogen wurde. Als Minderjähriger war er vor vier Jahren eingereist. Seinen Namen glaubten ihm die Behörden ebenso wenig wie seine Angabe, 1984 in Burkina Faso geboren zu sein. „Identitätsverschleierung“ lautete der Vorwurf, nachdem Burkina Faso erklärt hatte, Zongo sei kein Landsmann. Die Ausländerbehörde stellte danach Benin als Heimat fest und schob ihn dorthin ab. „Mein Mandant war unstreitig ausreisepflichtig“, erklärt Nerlinger. „Darum geht es nicht“.
Worum es geht, ist die „Durchführung der Abschiebung“, betont der Jurist. „Deren Voraussetzung war im Falle Zongos nicht gegeben.“ So sei die Aktenlage „viel zu dürftig“ und ließ Zweifel an der angeblichen Herkunft des Afrikaners aus Benin. Nerlinger zitiert aus den Behördenakten: Demnach fanden Beamte der Ausländerabteilung in Zongos Handy das eingespeicherte Kürzel pf und dazu eine Nummer. Eine Beamtin deutete das Kürzel als „petit frère“ und wählte zu der Nummer die Vorwahl Benins hinzu. Ein Mann am anderen Ende der Leitung erklärte, er habe einen „Cousin oder Bruder“ in Hamburg, liest Nerlinger aus den Akten vor und bilanziert: „Das war‘s. Für die Behörde ist dieser Verwandte mein Mandant.“ Für die Beschlagnahme des Handys, so der Anwalt, gäbe es keinerlei Rechtsgrundlage. „Das darf nur die Polizei.“
Christoph Bushart, Leiter der Ausländerbehörde, kontert die Vorwürfe mit dem Hinweis, „Benin hat den Mann als Staatsbürger identifiziert“. Dies belegten Papiere aus Benin: „Zu Details nehme ich nicht Stellung.“ Conny Gunßer vom Flüchtlingsrat warnt indes, „die Behörde versucht systematisch, Identitäten zu konstruieren“, um die Abschiebequote zu steigern. Kritisch sieht der Flüchtlingsrat auch das Verhalten der Botschaft Benins. Die hatte bis vor kurzem ein Reisepapier für Zongo verweigert mit der Begründung, der Flüchtling stamme woanders her. Gunßer: „Offenbar gab es Druck auf die Botschaft.“
Weil Benin sich weigerte, einen Ersatzpass auszustellen, hatte Hamburg zunächst versucht, Zongo mit einem so genannten EU-Standardreisepapier dorthin abschieben. Das Hamburger Verwaltungsgericht untersagte dies jedoch, weil Benin das Einweg-Ticket nicht anerkennt (taz berichtete).
Weil Juristen die Verwendung des Formulars als rechtswidrig ansehen, stellte die GAL zwei Senats-Anfragen zur Anzahl bisheriger Abschiebungen mit dem umstrittenen Papier. Antwort des Senats: „Statistische Erhebungen liegen nicht vor.“
Eine Antwort, wie Jurist Nerlinger formuliert, „die in sich nicht stimmig ist“. Er hat die Standardreisedokumente selbst gesehen: „Die werden von der Bundesdruckerei ausgegeben und sind durchnummeriert.“
Das Bündnis „Einspruch!“ diskutiert heute ab 19.30 Uhr mit Politikern die Frage „Menschenrechte – Ein Fremdwort in der Hamburger Flüchtlingspolitik?“ in der Diakonie, Königsstraße 54