: „Ich habe einem das Messer reingeschoben“
Es war Mord, sagen die einen. Notwehr, die anderen. Die Umstände, unter denen ein Köpenicker Rentner im Sommer 2003 den Hip-Hopper „Maxim“ erstach, versucht seit gestern das Berliner Landgericht zu erhellen. Klar ist bislang nur eines: Die Szene hat eine positive Identifikationsfigur verloren
VON PLUTONIA PLARRE
Warum? Immer wieder stellte die Vorsitzende der 40. Großen Strafkammer am Berliner Landgericht, Gabriele Strobel, gestern diese Frage: „Warum ist das Ganze so furchtbar eskaliert?“
Es geschah am 13. Juni 2003. An seinem 33. Geburtstag wurde der gebürtige Türke Attila A., genannt Maxim, ein stadtbekannter Hip-Hopper, in Köpenick auf offener Straße erstochen. Der Täter, der das Messer führte, sitzt seit gestern im Moabiter Kriminalgericht auf der Anklagebank, Vorwurf: Totschlag. Er ist kein junger Mensch, sondern ein weißhaariger 77-Jähriger, groß, mit kantigem Gesicht. Werner P. sieht aus, als ob er noch gut zupacken kann. Nach der Tat saß er einen Monat in Untersuchungshaft, seither ist er auf freiem Fuß.
Der Zuschauerraum ist voll besetzt. Links sitzt eine kleine Gruppe älterer Menschen, offenbar Freunde und Angehörige des Angeklagten aus Köpenick. Auf der rechten Seite drängen sich zumeist junge Türken. Die Hip-Hopper sind aus ganz Berlin gekommen. Denn Maxim war „all city“, und sie sind es auch. Sie wollen den Prozess um den Tod ihres „Bruders und Förderers“ verfolgen, denn Maxim, heißt es, war eine Integrationsfigur. „Er war friedliebend, hat Gewalt gehasst und Konflikte geschlichtet, wo er konnte.“ Dieser Umstand und die Tatsache, dass der Täter nach seiner Festnahme einem Pressefotografen breit in die Kamera gegrinst hatte, ist für seine Freunde und Angehörigen der Beleg: „Es war Mord.“
Der Angeklagte berief sich in seiner Aussage demgegenüber auf eine Art Notwehr. Der Tat vorangegangen war ein Vorfall in einem „Plus“-Supermarkt. Dort hatte Maxims Freundin Tina F. eingekauft. Wie oft zuvor hatte die Frau die Waren in eine große Einkaufstasche gelegt, nicht um zu klauen, sondern um diese an der Kasse zu zahlen. Werner P. hatte sie beobachtet und eine Verkäuferin darauf aufmerksam gemacht. Nicht um Tina F. anzuschwärzen, wie er gestern behauptete, sondern weil er das so „merkwürdig“ und „niedlich“ fand. Die Verkäuferin hatte Tina F. daraufhin aufgefordert, wie die anderen Kunden einen Karton oder Einkaufswagen zu nehmen. Bevor sie den Laden verließ, wendete sich Maxims Freundin eigenen Angaben zufolge noch einmal an den Rentner und fragte ihn sinngemäß, ob es ihm eine „Genugtuung“ gewesen sei. So zumindest schilderte es Tina F. gestern am Rande des Prozesses.
Zurück in ihrer Wohnung, berichtete Tina F. Maxim von dem Vorfall. Dieser verließ daraufhin zusammen mit einem Freund die Wohnung, offenbar um den Mann zur Rede zu stellen. Über das, was nun folgt, gehen die Aussagen weit auseinander. Werner P. sagte gestern, zwei junge Männer hätten sich ihm in den Weg gestellt und ihn aufgefordert, seine Einkaufstaschen abzustellen. Das habe er nicht getan. Als die beiden versucht hätten, ihm die Taschen zu entreißen, sei ihm Angst und Bange geworden. „Man liest so viel und sieht so viel im Fernsehen.“ Wegen der kurzen Haare der beiden habe er sie für Skinheads gehalten. Da sei ihm das Messer in seiner Tasche eingefallen. Er habe kurz zuvor im Garten Kohlrabi geschnitten. Eigentlich habe er die beiden nur erschrecken wollen, nach dem Motto: „Kinder, macht keinen Quatsch.“ Dass er wirklich zustach, will er nicht bemerkt haben: „Ich war wie von Sinnen.“
Der 33-Jährige brach kurz darauf in einem Copy-Shop tot zusammen. Werner P. floh in einem Ruderboot auf die nahe gelegene Baumgarteninsel, wo er eine Laube hat, und informierte dort über Notruf die Polizei. „Ich habe einem das Messer reingeschoben“, sagte er dabei wörtlich. Maxims Freund, der 33-jährige Elektroinstallateur Andreas S., sagte demgegenüber gestern als Zeuge, Maxim habe den Rentner in „friedlichem, sachlichem Ton“ zur Rede gestellt: „Was war eigentlich los bei Plus?“. Der Mann habe seinen Freund daraufhin zu schubsen versucht und sei ihm dann mit der Faust, in der sich, für ihn nicht sichtbar, das Messer befunden habe, an den Brustkorb gefahren. „Es gab zuvor keine körperlichen oder verbalen Attacken. Die Vorsitzende Richterin konfrontierte den Zeugen mit der Aussage eines Mannes, der den Vorfall vom Auto aus beobachtet haben will. Dieser Aussage zufolge soll Maxim „forsch“ auf den Rentner zugetreten sein und ihn mit den Händen am Kragen gepackt haben. Darauf Andreas S.: „Das entspricht nicht der Wahrheit.“ Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.