: Mit Schaum vor dem Mund
betr.: „Freiheit statt Kopftuch“, Das Schlagloch von Viola Roggenkamp, taz vom 11. 2. 04, „Streit ums Kopftuch“, (die zweite meinung), taz vom 13. 2. 04
Wenn man die steigende Hysterie betrachtet, mit der in den letzten Tagen der Kopftuchstreit auch in der taz geführt wurde, ist es wahrscheinlich angebracht, einmal etwas ruhiger darüber nachzudenken, was ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst oder wo auch immer tatsächlich für Auswirkungen hat. Zwei Dinge sind dabei besonders auffällig: Zunächst ist es bezeichnend, dass Kopftuchgegner und -gegnerinnen Kopftuchverbote nur für relativ gut bezahlte sichere Stellungen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, fordern, die den Frauen, die sie ausführen, schon allein deswegen die Möglichkeit eines eigenständigen Lebens eröffnen. Dagegen hat offensichtlich auch die emanzipierteste Deutsche nichts dagegen, dass muslimische Kopftuchträgerinnen zum Beispiel als Putzfrauen ihre Scheiße beseitigen oder zu sonstigen niedrigen, schlecht bezahlten Tätigkeiten herangezogen werden. Zum Zweiten stellt sich die Frage, ob Kopftuchverbote tatsächlich an der in der Tat häufig bedrückenden Situation muslimischer Frauen etwas ändern. Das ist ganz klar mit Nein zu beantworten. Diese Frauen werden endgültig vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und dadurch umso mehr der Willkür ihrer Ehemänner und Verwandten ausgeliefert.
Die Debatte ist wie so häufig, wenn es um Gleichberechtigung geht, schon längst zu einer Stellvertreterdiskussion degeneriert. Manchen Frauen ist es offensichtlich zu mühsam, an den realen Verhältnissen etwas zu ändern. Deswegen führt man eben mit umso mehr Schaum vor dem Mund den Kampf um Symbole, schwadroniert von islamistischen Weltverschwörungen und lädt seinen Frust gegen alle ab, die Zweifel darüber äußern, dass sich Lösungen gesellschaftlicher Probleme so einfach finden lassen. Dabei kann man sich dann auch um so besser über die eigenen Defizite bei der Durchsetzung der Gleichberechtigung hinwegtrösten. Es ist doch schließlich auch unter uns ach so aufgeklärten fortschrittlichen Europäern trotz rechtlicher Gleichstellung der Frauen immer noch so, dass sie in der Regel die schlecht bezahlten Jobs ohne Sozialprestige annehmen, den bei weitem größten Anteil bei der Kindererziehung leisten und von ihren Ehemännern als frei verfügbare Sexualobjekte betrachtet werden. Das kann man dem Islam allerdings nun wirklich nicht in die Schuhe schieben. INGO MEHLING, Frankfurt/Main
Hut ab vor Frau Roggenkamp und ihrem unvoreingenommenen Kampf um die Würde der Frau. Das orthodoxe Judentum ist ja nicht gerade bekannt als Hort weiblicher Gleichberechtigung und Emanzipation. Frau Roggenkamps Eintreten für ein Kippa-Verbot ist so zwar nur folgerichtig, dennoch aber bemerkenswert. Oder habe ich da etwas missverstanden? […] ROBERT SCHEIN, Wiesbaden
Enthüllungsjournalismus vom Feinsten. „Die Komplizenschaft der Grünen mit islamischem Terror“ – schöner hätte es auch Michael Glos nicht formulieren können. Die Losung lautete einmal: Freiheit statt Sozialismus! Heute trägt frau: Freiheit statt Kopftuch. […] Grüne Terrorgehilfen, ab nach Guantánamo! J. G. VOGEL, Freudenstadt
Viola Roggenkamp meint für den Laizismus zu streiten und betreibt Exorzismus der plattesten Sorte: Sie treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus und konstruiert das Schreckgespenst eines allgegenwärtigen totalitären Islam, den sie mit einem wiederum totalitären Freiheitsbegriff attackiert. […] Doch damit nicht genug: Einige verbotskritische „deutsche Frauen“ – ist Fereshda Ludin keine Deutsche? – werden gleich noch der „Komplizenschaft mit dem islamischen Terror“ geziehen. Hier werden in bester jakobinischer Manier diejenigen denunziert (statt kritisiert), die die Freiheit als Freiheit des anders denkenden, anders aussehenden, anders glaubenden Individuums verteidigen. Denn Frau Roggenkamps autoritäre Gleichmacherei versteht das Individuum besser, als es sich selbst versteht, also darf es auch staatlich zugerichtet werden – im Namen der Freiheit natürlich. Kopftuchverordnung und Kopftuchverbot sind sich da strukturell ähnlicher, als ihnen lieb ist. Sie entmündigen und diskriminieren beide. JOSCHA ZMARZLIK, Dresden
betr.: „Für Neutralität in der Schule“, taz vom 14. 2. 04
Dass sich die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung für das Tragen des Kopftuches bei muslimischen Lehrerinnen einsetzt, ist rühmlich, denn schließlich brauchen kopftuchtragende muslimische Frauen auch eine Lobby in unserem Land. Schön wäre es aber, wenn diese Lobby die demokratische Kultur in Deutschland wäre und die Treue zum Grundgesetz. Nun scheinen diese hehren Werte gerade jene auszuhöhlen mit ihrem lautstarken Schreien nach Verboten, die sie sonst so oft im Munde führen. Auch die „demokratisch gesinnten Migrantinnen aus muslimischen und anderen Ländern“ melden sich in der taz zu Wort und tun kund, dass sie in diesem Streit auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft sind. Ja sie tun sogar beleidigt, dass man immer nur von den anderen Migrantinnen, denen mit Kopftüchern, spricht und nicht von ihnen, obwohl sie ja angepasst, also vorbildhaft sind. Lächerlich dieser Auftritt: Die Damen setzen sich ein für ein Verbot, das anderen ein Grundrecht verweigert, und fühlen sich im gleichen Atemzug benachteiligt, dass man sie nicht wahrnimmt. ERICH GUIST, Falkensee
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