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Archiv-Artikel

„Die Grünen sind reif für Schwarz-Grün“, sagt Ralf Fücks

Das rot-grüne Projekt bleicht aus – und die Grünen entdecken die Union. Vorerst in den Kommunen. Und dann?

taz: Herr Fücks, was spricht für Schwarz-Grün?

Ralf Fücks: Schwarz-Grün ist ein Thema, weil Rot-Grün viel von der Aura eines Reformprojekts verloren hat, die es 1998 hatte. Außerdem lösen sich die festgefügten Lager langsam auf. Und für die Grünen geht es darum, ihre strategischen Möglichkeiten zu erweitern.

Also ein Rechenspiel?

Nein, als bloße Verlegenheitslösung, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, wird das nicht funktionieren. Vielleicht können manche gesellschaftliche Konflikte in einer lagerübergreifenden schwarz-grünen Koalition sogar eher vorangebracht werden als unter Rot-Grün.

Zum Beispiel?

Eine Föderalismusreform, die Länder und Kommunen stärkt. Das müsste mit der CDU eher gehen als mit der SPD. Der CDU liegt das Subsidiaritätsprinzip näher, nur die Aufgaben zu zentralisieren, die nicht bürgernah gelöst werden können. Das zweite Stichwort heißt: Bürgergesellschaft – also die Stärkung von Eigeninitiative und gesellschaftlichem Engagement.

Bürgergesellschaft klingt immer gut – aber Merkels Gesundheitsreform und Merz’ Steuersenkung zielen klar in neoliberale Richtung. Sollen die Grünen bei der Abwicklung des Sozialstaates mitmachen?

Nicht doch. Die Union ist in der Mitte der Gesellschaft verankert. Sie hat einen sozialkatholischen Flügel und wird inzwischen von mehr Arbeitern gewählt als die SPD. Angela Merkel wird keine deutsche Thatcher.

Also wären Merkels Gesundheits- und Merz Steuerreform mit den Grünen machbar?

Weitere Steuersenkungen für das obere Einkommensdrittel bei wachsender Staatsverschuldung sind mit den Grünen sicher nicht machbar. Es wäre reizvoll, mit der Union über die Rolle öffentlicher Güter – von der Bildung bis zur inneren Sicherheit – zu streiten. Ich bin mir sicher, dass wir in der Union Verbündete finden, die diese öffentlichen Güter nicht überzogenen Steuersenkungen opfern wollen.

Die Grünen müssten mit der Union mehr sozialpolitische Dehnungsübungen vollziehen. Warum sollten Sie das tun?

Eine ernsthafte schwarz-grüne Debatte über Sozialpolitik hat noch kaum begonnen, zum Beispiel über eine Kombination der Bürgerversicherung – also der Einbeziehung aller in die sozialen Sicherungssysteme – mit mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen. Es ist nicht ausgemacht, wie weit sich Grüne und Union da verständigen können.

Schwarz-Grün scheint heute, anders als vor zehn Jahren, möglich zu sein. Warum?

Es gibt bei der Union und den Grünen eine neue Generation, die Koalitionsfragen nicht mehr als Weltanschauungsfragen diskutiert und das alte Lagerdenken verlassen hat. Und es gibt Schwarz-Grün auf kommunaler Ebene, siehe Köln. Die Erfahrungen sind eher positiv.

Inwiefern?

Soweit ich sehe, ist der Umgangsstil besser als bei Rot-Grün. Es gibt mehr gegenseitigen Respekt und mehr Verlässlichkeit. Dabei ist von Vorteil, dass beide Parteien nicht um das gleiche Wählermilieu konkurrieren. Diese Erfahrungen sprechen eher für als gegen eine Erprobung von Schwarz-Grün auf Landesebene.

Was müssen die Grünen tun, damit Schwarz-Grün auf Landesebene machbar ist?

Es geht nicht darum, sich für die CDU hübsch zu machen. Die Grünen haben sich in den letzten Jahren reformiert. Sie wollen eine nachhaltige Finanzpolitik, sie wollen mehr Marktwirtschaft statt Dirigismus in der Umweltpolitik, sie führen den Dialog mit der Wirtschaft. Für die Grünen ist Schwarz-Grün kulturell und programmatisch möglich, ohne ihre Seele zu verkaufen.

Sie sind also schon bürgerlich genug für die CDU?

Ist das immer noch ein Schimpfwort?

Nein, aber eine interessante grüne Selbstbeschreibung …

Die Grünen hatten, auch als sie noch richtig links waren, immer ein bürgerliches Element.

Wie sieht die Sache denn von Unionsseite aus? Die Tirade von Michael Glos über grüne „Ökostalinisten“ klang ja nicht nett.

Ein lächerlicher Versuch, alte Feindbilder aus der Mottenkiste zu holen. Die Union weiß, dass sie nicht mit absoluten Mehrheiten rechnen kann und dass es unklug ist, sich an die Westerwelle-FDP zu ketten. Positiv war, dass die CDU-Spitze in der Hohmann-Affäre eine Grenze am rechten Rand gezogen hat.

Weil die Union ihrem rechten Flügel mit Hohmann einiges zugemutet hat, muss sie nun gegen die Grünen holzen.

Vermutlich würde Schwarz-Grün der Union sogar schwerer fallen als den Grünen. Konflikte sehe ich bei der Zuwanderung, der Umwelt- und Familienpolitik und der Chancengleichheit im Bildungswesen. Da muss die Union noch einiges modernisieren. Ob Merkel das will und kann, vermag ich nicht abzusehen.

Rot-Grün ist die Koalition der SPD mit den sozialen Bewegungen, die nach 1968 jenseits der SPD entstanden waren. Was wäre denn Schwarz-Grün?

Keine neue historische Allianz. Aber doch ein Brückenschlag zwischen wertkonservativem und liberalen Bürgertum und dem postmateriellen Milieu, das die Grünen repräsentieren. Also eine Koalition jener, denen es um Leistung wie um soziale Verantwortung geht, mit den innovativen Elementen der Grünen – Frauenemanzipation, Ökologie, Migration, Generationengerechtigkeit. Das wäre eine interessante Mischung …

bei der die Grünen ihre linken Wähler verlieren …

Die Gefahr besteht – wenn Schwarz-Grün nur als opportunistisches Manöver und programmatische Entkernung wahrgenommen würde. Aber das muss nicht so sein. Ein Test dafür wird die Kommunalwahl in NRW. Dann wird man sehen, wie die grüne Klientel Schwarz-Grün beurteilt.

Und wie stehen die Chancen für eine schwarz-grüne Regierung in NRW?

Man sollte sich von Berlin aus da nicht einmischen. Das können die Landesverbände selbst am besten entscheiden.

Also lieber nicht über Schwarz-Grün reden, weil es dann erst recht nichts wird?

Je stärker es im Vorfeld hochgespielt wird, desto lauter schlagen die Wachhunde auf beiden Seiten an. Das stimmt. Entscheidend wird aber etwas anderes sein: Schwarz-Grün kommt, wenn beide Parteien es einer großen Koalition vorziehen.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE