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Archiv-Artikel

Endlich Knickebeine!

Eigentlich hätte es für den Froschsaloon eine Genehmigung gebraucht. Doch das erfuhr Familie Meise erst später

von DOMINIK und SYLVIA MEISE (Text) und PAT MEISE (Fotos)

„Dürfen wir uns Kaulquappen holen?“, fragen wir (Vater, Mutter, achtjähriges Kind) den Förster. „Klar! So was muss ein Kind doch mal erlebt haben“, lautet seine unbekümmerte Antwort. Erst nach unserer Quappenaufzucht belehrt uns ein anderer Forstmann, dass „so was“ verboten ist, weil alle Amphibien unter Naturschutz stehen. Leider sei die Überlebensquote ziemlich gering, und sogar Schulklassen mit offizieller Erlaubnis seien bei der Kaulquappenaufzucht meist wenig erfolgreich. Wir schon. Von unseren fünf Kröten- und zwei Molchlarven haben wir alle bis auf eine durchgekriegt. Ein Tagebuch:

Erster Tag

Heute haben wir Kaulquapen geholt, um zu beobachten. Die Kaulquappen haben den Mund unten wie Rochen, Ich will, das sie sich wie zu Hause fülen. Es sind übrigens fünf.

Unser kleines Abenteuer beginnt im Wald. Gesucht, gefunden: ein Tümpel mit Hunderten von pechschwarzen Kaulquappen. Fünf davon schöpfen wir vorsichtig in ein Glas und füllen auch gleich Teichwasser für den artgerechten Umzug ab. Der Papa mit dem Rennrad transportiert sie schnell im Rucksack nach Haus. Dort angekommen aber – oh! oh! – liegen die neuen Haustiere im Reiseeinmachglas wie tot. Glück gehabt: Alles nur ein Überlebenstrick! Stunden später flitzen sie durch ihr neues Domizil: ein großes Bonbonglas mit der Aufschrift „Saloon“.

Was aber fressen Miniquappen? Um das zu klären, führt uns der nächste Ausflug ins Frankfurter „Stadtwaldhaus“. Dort gibt es außer einem Teichbiotop mit Kaulquappen auch Fachliteratur, abgestimmt auf jedes Forscheralter und jede Sorte Naturforscherneugier. Erste Erkenntnisse: Wir vermuten, dass wir Erdkrötenlarven mitgenommen haben, doch da sie genauso aussehen wie Grasfroschlarven, lässt es sich trotz Expertenhilfe nicht hundertprozentig klären.

Zweiter Tag

Die Kaulquapen haben die Nacht überstanden. Ich habe sie seher lieb. Ihre Augen sehen aus wie kleine vertifungen. Ich musste sie alle weken. Sie versuchen sich immer aufs Glas zu legen, leider klapt das ni, weil das Glas zu glat ist. Heut habe ich Wasserflöe aus dem Zoo Gescheft geholt, und ins Wasser zu den Kaulquappen getan.

Zunächst müssen die Kaulis wachsen. Es ist abzusehen, dass der Saloon bald zu klein ist, deshalb erstehe ich für unsere neuen Mitbewohner auf dem Flohmarkt ein Wasserbassin mittlerer Größe. Umzug ist angesagt: Schon wieder tot stellen, was für eine Aufregung für die kleinen Kopfschwänzer. Die neue Wohnung wird begrünt und scheint ihnen zu gefallen.

Meist liegen sie am Boden und schlafen. Oder saugen sich an Blättern fest und lassen sich schaukeln. Unbeweglichkeit als Tarnung. Wo sie herkommen nämlich, im Waldtümpel, gibt’s Wassermonster, die kleine, harmlose Quappen fressen. Traute mich gar nicht mehr zu atmen, als ich das sah. Und schielte zum Sohn, ob er es auch gesehen hatte. Zum Glück nicht, hätte sonst schön geheult. Überall lauern sie: Wasserläufer. Greifen sich so ein armes Quäppchen – und aus. So sentimental wird man, wenn man zu Hause Kaulquappen groß zieht. Bücher wälzt, was sie alles brauchen und wer sie eigentlich sind.

Manchmal fahren wir einfach zum Tümpel und gucken, ob die anderen Hundertschaften von Brüdern, Cousins und Schwestern sich genauso entwickeln wie unsere Fünferbande. Jede Fahrt ein neues Abenteuer: vor Riesenkötern verstecken, Himbeeren pflücken, Wildschweinspuren lesen, und einmal war da ein Holzstamm – als Mann verkleidet, drohte er uns aus der Ferne, beobachtete uns furchtbar im Dämmer.

Und: Was war das? Hat sich nicht der Ast da eben bewegt? Eine Blindschleiche! Wir beobachten sie bei ihrem Weg über den Weg. Glatt war’s ihr, viel zu glatt. Und so hat’s lang gedauert, sehr lang. Wir, voll frischer Beobachtergeduld, harrten aus. Bis sie drüben war und dort dann raseschnell zwischen Gräsern verschwand. Einen langen Waldaugenblick waren wir ganz nah dran. Am gleichen Tag sehen wir auch einen Fuchs. Zum Greifen nah sonnte er sich auf einem Baumstamm. Da standen wir still, Mutter und Sohn, lauschten, atmeten leise und hielten die Zeit an. Er schaute zu uns rüber und schien zu wissen: Die sind harmlos.

Neunter Tag

Toll! Nautilus hat Vorderbeine, sie stehen im echt gut. Wir haben einen größeren Stein ins Becken getan. Eine Kaulquappe lutscht den Stein immer ab, sie scheint sich für ihn zu intresiren.

Endlich kriegen sie Beinchen. Die Attraktion. Guck doch mal! Wo? Ich seh’s nicht. Schließlich nicht mehr zu übersehen: die Knickebeine. Und das ist der Speiseplan: Fischfutter und Wasserflöhe. Das bekommt ihnen gut: Rund und prall geistern die Larven durchs Becken. Natürlich brauchen sie auch Beckenbegrünung: Kanadische Wasserpest und anderes Gewächs kaufen wir im Zooladen. Außer den Kaulquappen füttern wir mittlerweile noch andere Wassertiere durch: zwei Molche, dazu noch je eine Posthorn- und Schlammschnecke.

Die Schnecken weiden wie Nilpferde den grünen Algenrasen ab, der auf den Steinen und am Glas wächst. Die Flöhe wiederum fressen die Schwebteilchen, die das Wasser sonst trüben würden – ein perfektes Biotop.

Fünfzehnter Tag

Leider gibt es heute nichts zu erzelen. Ich hofe, es gibt morgen mer zum tema Kaulquappen zu erzelen. Aber man kann Jahre lang ins Becken gucken und man kriegt nie Langeweile.

Das Teichwasser hat es in sich. In der ersten Kanisterfüllung war nicht wie vermutet nur Wasser und bisschen Grünzeug. Winzig kleine, fürs bloße ungeschulte Auge zunächst unsichtbare Eier aller möglichen Tiere waren darin. So kamen die Molche zu uns und auch ein paar unappetitliche Würmer.

Da das Nachfüllwasser auf Försters Empfehlung auch aus dem Herkunftsteich stammen sollte, wurden alle weiteren Kanisterfüllungen sorgfältig sandgereinigt und durchgefiltert. Ganz schön aufwendig. Und stressig dazu: bloß keinen aus Versehen mit dem alten Wasser weggießen! Die Molchlarven etwa, die so winzig sind. Nach dem Schlüpfen zickzackten sie fast unsichtbar durchs Wasser, später glichen sie Babyforellen. Erst als den Jungmolchen Kiemenfäden an den Backen gewachsen waren, kapieren wir endlich, was wir da ausgebrütet haben. Die „fünf Freunde“, die Kaulquappen, tragen alles mit Fassung. Drehen ihre Runden, spielen Verstecken unterm großen Stein oder schlafen, fest gesaugt an ihrem Lieblingsblatt.

Sechzehnter Tag

Heute habe ich festgestelt, das zwei forellenartige Tiere in meinem Aquarium sind! Bei Nautilus sind die Beinchen schon sehr gut sichtbar. Die Kaulquappen gleiten manchmal wie Kondore durchs Wasser. Manchmal liegen sie auf den Grashalmen wie wir auf einem Bett.

Achtzehnter Tag

Heute ist der größte horortag alerzeiten! Nautilus ist weg! Wir haben alle gesucht und ihn nicht gefunden. Das ist leider sehr traurig. Aber man muss der Tatsache ins Auge sehen.

Schlimm für den Sohn: Der Tag, als unser größter Quapp spurlos verschwand. Dominik hofft inständig, Nautilus möge auf wunderbare Weise über den Balkon entkommen sein und bald bei seinen Kumpeln am Tümpel eintreffen. Sein Papa hat da eher Familienkater Max im Verdacht, und ich fürchte den Tag, an dem ich im Beisein des jungen Forschers auf eine kleine, ausgetrocknete Kröte stoße. Um weitere mysteriöse Verluste zu vermeiden, wird das Bassin abgedeckt.

Alle anderen Jungkröten aber haben wir eine nach der anderen wohlgenährt in die Freiheit entlassen. Die Rückreise traten sie versteckt zwischen Moos und Erde in einer alten, luftlöchrigen Brotdose an. Dabei wurde uns der Weg zum Waldtümpel jedes Mal vertrauter: erst die Himbeersträucher, dann weiter am großen Holzstapel vorbei, noch ein Stück und dann endlich das Wasserloch.

Noch einmal schauen wir uns die Pfleglinge genau an. „Tschüss“, sagt Dominik leise, „macht’s gut!“. Und die kleinen Hüpfer, als wären sie nie woanders gewesen, verschwinden zielstrebig im Grasdickicht.

PAT MEISE, 47, lebt als Fotograf urbaner sowie amphibiengerechter Landschaften in Frankfurt am Main – gemeinsam mit SYLVIA MEISE, 41, freie Quappenberichterstatterin, und DOMINIK MEISE, der in der 2. Grundschulklasse mit acht Jahren gelernt hat, Wörter nach dem Gehör – so das Konzept der Anlauttabelle – zu schreiben; das Könnenmüssen der korrekten Rechtschreibung folgt später