Frisches Geld, dringend gesucht!

Die Medienkrise (Teil 1): Welche Strategien die überregionalen Tageszeitungen in der ökonomischen Krise haben

von STEFFEN GRIMBERG

Es ist ein Kreuz mit den überregionalen Zeitungen: Ratlose Geschäftsführungen und Chefredaktionen blicken auch nach den ersten drei Monaten des neuen Jahres auf weiter sinkende Werbeeinnahmen. Vielerorts stagnieren dazu noch die Auflagen. Nach einer jüngsten Studie der Universität St. Gallen für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung können im Vierjahresvergleich 1998–2002 lediglich die taz (plus 2,4 Prozent) und die Süddeutsche Zeitung (plus 6 Prozent) Zuwächse verbuchen. Bei der in schweren Finanznöten steckenden Frankfurter Rundschau ging die Auflage dagegen um 3,1 Prozent, bei Springers Welt um 3,5 Prozent und bei der FAZ sogar um 4 Prozent zurück.

Doch auch die Süddeutsche kann sich nicht wirklich über ihre Auflagensteigerung, mit der sie immerhin die „Zeitung für Deutschland“ (FAZ-Eigenwerbung) überholt hat, freuen: Der Marktführer bei den überregionalen Qualitätszeitungen musste wegen arger Finanznöte knapp 20 Prozent des Süddeutschen Verlags an die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) aus Stuttgart verkaufen. Denn in München blockierten die fünf mit sich und dem Blatt überworfenen Inhaberfamilien dringend notwenige Sanierungsmaßnahmen. „Auf Grund des Gesellschafterstreits ist inzwischen selbst für Verlagsmanager unklar, wer eigentlich im Unternehmen das Sagen hat“, konstatiert schon 2002 die FTD. Die erste Generation der Verlegerfamilien, so der Eindruck der MitarbeiterInnen heute, hätte noch ein wirklich verlegerisches Interesse an der Zeitung gehabt: „Doch die jungen Leute haben sich nur die Taschen gefüllt.“

Die Konsequenz: Das viel bejubelte Jugend-Supplement jetzt ist längst weg, die Berliner Seite verschwand kurze Zeit später auf Nimmerwiedersehen. Im März folgte der mit großen Erwartungen – und großem publizistischem Erfolg – eben erst gestartete Regionalteil für Nordrhein-Westfalen.

Dafür ist mittlerweile klar, wer nun beim Süddeutschen Verlag das Sagen hat: die Stuttgarter Regionalzeitungsholding SWMH. Ein vom SWMH-Mann Oliver Dubber geleiteter „Lenkungsausschuss“ führt die Geschäfte, die anderen Eigentümer können Dubber nicht überstimmen – und fühlen sich entmündigt: Man sei von der „brachialen Strategie“ des neuen Gesellschafters vor den Kopf gestoßen, zitierte der Spiegel einen der „Alteigentümer“, und davon, dass die SWMH um die „publizistische Bedeutung der Süddeutschen Zeitung“ wisse, wäre man nicht mehr so recht überzeugt.

Um gegen die Einstellung des NRW-Teils in seinem eigenen Blatt zu protestieren, wurde ein SZ-Miteigentümer wieder zum ganz gewöhnlichen Leserbriefschreiber. Er habe den Beschluss weder mitgetragen noch gutgeheißen, schrieb SZ-Gesellschafter Johannes Friedmann: „Vielmehr bedauert der Stamm Friedmann die verlegerische Kurzsichtigkeit des Beschlusses zutiefst (…)“.

Katerstimmung auch bei der Frankfurter Allgemeinen und erst recht bei der Frankfurter Rundschau: Zwar sind beide Blätter als Stiftungen organisiert, um die redaktionelle Unabhängigkeit zu sichern und zu verhindern, dass sich neue Gesellschafter mit durchschlagender Wirkung einkaufen können. Doch genau das macht sie jetzt in der Krise manövrierunfähig. Dringend benötigtes frisches Geld kann nämlich nicht durch die Veräußerung von Anteilen hereinkommen. Während sich die FAZ mit einem rigiden Sparkurs aus eigener Kraft sanieren will, muss die Frankfurter Rundschau Klinken putzen: Sie hat ihre Kreditlinien bei den Banken so ausgereizt, dass sie nun bei der hessischen Regierung um eine Landesbürgschaft nachsuchen muss. Die altehrwürdig-sozialdemokratische FR abhängig vom Wohlwollen eines Roland Koch (CDU) – keine schönen Aussichten am Main.

Das unterstrich dann auch noch mal Ex-FAZ-Geschäftsführer Jürgen Becker: „Wir werden nicht allzu viele Qualitätszeitungen mehr haben“, schloss sich Becker bei der Diskussion der St. Gallener Studie der Prognose von Springer-Chef Mathias Döpfner an. Apropos Springer: Die Welt kann wohl weiter zuversichtlich durch die Zeitungskrise segeln. Zumindest solange die Bild-Zeitung noch für die notwendigen Alimente sorgt.