: Der Weitsichtige
AUS DÜSSELDORF BARBARA BOLLWAHN
Die Wiedervereinigung will er vorhergesehen haben. Niedergeschrieben Ende der 60er-Jahre unter Pseudonym in dem Büchlein „Auf immer geteilt?“ und herausgegeben im eigenen Verlag. Aber er rückt keins der übrig gebliebenen Exemplare heraus. Er zeigt eins aus der Ferne und lässt die Sekretärin das Deckblatt kopieren. Wozu, bleibt sein Geheimnis. Auch den Ausgang der Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 29. Februar glaubt er zu kennen. „Die Wahl ist gelaufen, Schill gewinnt.“
Der Mann, der so redet, trägt meist eine große Brille mit Goldrand, weil er weitsichtig ist. Doch mit der Weitsicht ist das so eine Sache. Manchmal endet sie am Brillenrand.
Wer nicht weiß, wer Bolko Hoffmann ist, kennt auf jeden Fall sein Konterfei. Jahrelang hat der Herausgeber des Effecten-Spiegels, laut Eigenwerbung das „größte Börsenjournal Europas“, mit seiner großen Brille und quer über die kahle Stirn gelegten Haaren Stimmung gegen den Euro gemacht. In ganzseitigen Anzeigen querbeet durch die deutsche Medienlandschaft. Den Euro hat er durch die mehrere Millionen Mark teure Kampagne nicht verhindert. Auch die 1998 vom ihm gegründete Pro-D-Mark-Partei schaffte nicht den Einzug in die Parlamente. Doch nun will der 66-Jährige in die große Politik einsteigen.
Dazu hat er sich einen anderen Quereinsteiger gesucht: Ronald Barnabas Schill, den geschassten Hamburger Innensenator, bekannt als Richter Gnadenlos. Anfang des Jahres hat sich der Börsianer, dessen D-Mark-Partei gerade einmal 500 Mitglieder hat, die „Ronald-Schill-Fraktion“ der einstigen Schill-Partei einverleibt. Seitdem heißt sie „Pro DM/Schill“ und Hoffmann darf sich Bundesvorsitzender nennen. Er ist es auch, der das Geld vorstreckt, das Schill für seinen Wahlkampf braucht: 500.000 Euro. „Das sind Bankkredite“, sagt Hoffmann, „die irgendwann mal zurückgezahlt werden müssen.“ Eigentlich geht er natürlich davon aus, dass sein Einsatz Dank der Rückerstattung von Wahlkampfkosten mit „plus minus null“ endet. Er ist Börsianer.
Bolko Hoffmann residiert mit seiner Effecten-Spiegel AG weit weg von Hamburg, in einer Villa mit schwerer Eisentür in Düsseldorf-Zoo, einem noblen Stadtteil der NRW-Landeshauptstadt. Im Erdgeschoss sitzen eine Hand voll Mitarbeiter umgeben von deckenhohen Regalen voller Ordner. Eine Treppe führt hoch in sein Büro. Das ist bis auf den blauen Teppich komplett in Weiß gehalten: der Schreibtisch, die Einbauschränke, die Sitzecke. Feine, dünne Goldränder geben dem sehr aufgeräumten Zimmer einen edlen Touch. An der Wand hängen Kopien alter Aktien, die von Weltkrisen erzählen, in einem Regal steht eine riesige D-Mark-Münze.
Er sieht ganz anders aus als in den Zeitungsanzeigen. Ohne Brille, leicht gebräunt und leger gekleidet mit Wollpullover und einem offenen Hemd darunter, wirkt er wie ein erholter Segler. Anfang des Jahres, als die Übernahme der Schill-Partei publik wurde, da ging es ihm gar nicht gut. Ihm blieb die Stimme weg. Inzwischen hat er sie wieder.
„Ich habe eine feindliche Übernahme gemacht“, sagt er genüsslich. Damit erst gar kein falscher Eindruck entstehen kann, schiebt er sofort einen zweiten Satz hinterher: „Schill und ich passen super zusammen.“ Allerdings zweifelt daran nicht nur Norbert Frühauf, Landesvorsitzender der einstigen Schill-Partei „Rechtsstaatliche Offensive“. Er spricht von einem „Zweckbündnis“ und davon, dass sich die beiden „bei der erstbesten Gelegenheit zerstreiten werden“. Frühauf verfolgt den Lauf der Dinge amüsiert. „Wenn Schill einen Rechtsanwalt engagiert“, erzählt er lachend, „dann schreibt Hoffmann dem Anwalt, dass Schill dafür nicht mandatiert ist.“
Einfach war ihr Verhältnis noch nie. Vor drei Jahren gab es schon einmal Fusionsverhandlungen. Die endeten vor Gericht. Hoffmann untersagte Schills „Rechtsstaatlicher Offensive“ die Verwendung des Kürzels „Pro“. Schill stellte Strafantrag gegen Hoffmann wegen Verleumdung, weil der öffentlich erklärt hatte, dass Schill eine Million für sich gefordert habe, falls er bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen im September 2001 scheitern sollte.
Alles Schnee von gestern. Hoffmann winkt ab. Er schimpft ein bisschen auf Mario Mettbach, Schills Exparteifreund – „Ich wollte die mit einer Million kaufen, aber Mettbach zog zurück“ – und nimmt, ganz Bundesvorsitzender, die Schuld auf sich. „Das war mein Fehler. Es war ein Missverständnis.“ Der Schill sei „ein ganz feiner Kerl“. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Kritik an seiner Person lässt Hoffmann ohnehin kalt. Sagt er. Nach der Schill-Fusion erteilte ihm die Frankfurter PR-Agentur Hunzinger, die wegen der Affäre um Kleidung und Honorare für Rudolf Scharping in die Schlagzeilen geriet, Hausverbot. „Mit Schill geht man nicht ins Bett“, so Firmenchef Moritz Hunzinger. „Voll akzeptabel“ nennt Hoffmann das Hausverbot, obwohl er der Hauptaktionär ist. „Hunzinger muss sich von mir distanzieren, weil er große Parteien als Kunden hat“, sagt er. „Privat ruft er bei mir an und bettelt sich hoch.“
Hoffmann kommt in Fahrt, und je mehr er in Fahrt kommt, desto mehr teilt er aus – in Richtung Hunzinger und Mettbach: „Das sind Typen, bei denen Sie die Finger nachzählen müssen, wenn Sie denen die Hand geben.“
Warum will einer wie Hoffmann, der mit Aktien ein Millionenvermögen gemacht hat und mit seinem Effecten-Spiegel die Interessen von etwa 8.000 Kleinaktionären vertritt, in die Politik? Hoffmann stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Vater hatte eine Isolierfirma und hätte es gerne gesehen, wenn der Sohn sie übernommen hätte. Doch Hoffmann hat lieber eine Bankenlehre und ein Studium zum Diplomkaufmann absolviert. Schon während der Lehre habe ihn die Börse fasziniert. Er habe das Feeling, das Talent und die Vorsicht dazu. „Das ist angeboren.“
Hoffmann, so viel wird zumindest klar, hält nichts von den etablierten Parteien. „Man kann in Deutschland die besten Ideen haben und bewegt null“, schimpft er. Nur kleine Parteien seien in der Lage, etwas zu verändern. Vielleicht war er deshalb dabei, als Ende der 70er-Jahre die Bürgerpartei gegründet wurde, die für radikale Steuersenkungen eintrat und schnell in der Versenkung verschwand. Nun hat er seine eigene Partei und bezeichnet sich selbst als „Mann der Mitte“. Festgeschrieben hat er das in der Abkürzung DM, die jetzt nicht mehr für „D-Mark“ steht, sondern für „Deutsche Mitte“. Die Zeiten ändern sich. Hoffmann bleibt. Vielleicht weil er glaubt, dass Börse und Politik ein und dasselbe seien: „Trends voraussagen ist mein Beruf.“
Mit Schill, so sagt er, stimme er „inhaltlich völlig überein“. Dessen diffamierende Attacken gegen den Hamburger Bürgermeister Ole von Beust findet er „harmlos hoch drei – für das, was da läuft“. Er gefällt sich in der Mitwisserrolle und darin, Gerüchten Nahrung zu geben: „Die CDU und Beust sind gut beraten, das Maul zu halten.“ Nach großer Politik klingt das nicht.
Hoffmann bewegt an der Börse große Geldsummen und verdient gut dabei. Doch darüber will er nicht reden. „Ich kann nur auf einem Stuhl sitzen und nur eine Hose tragen“, sagt er genervt. Nach Angaben des Handelsblatts hat er ein Vermögen von 25 Millionen Euro. Hoffmann ist verheiratet und hat keine Kinder. Sein Vermögen will er später einer Stiftung zur Krebserforschung vermachen. Sein Vater starb an Krebs. Auch da meint Hoffmann Trends zu setzen, indem er auf eine Therapie setzt, die mit vielen Fragezeichen versehen ist.
Er gibt das Geld, andere sollen machen. Vielleicht ist das das Hoffmann’sche Prinzip, auf jeden Fall ist es seine Rolle im Hamburger Wahlkampf. Den überlässt er ganz seinem Kompagnon Schill. Vorerst begnügt er sich damit, Presseerklärungen herauszugeben, in denen er über „wertlose“ Wahlumfragen und „bewusste Wählertäuschung“ schimpft. Vorerst. Der große Einstieg in die Politik soll folgen: Hoffmann will den Osten beglücken. Zur Landtagswahl im September in Sachsen, wo seine DM-Partei vor vier Jahren auf 2,1 Prozent kam, will er für ein Amt kandidieren, von dem er sagt, dass es niemand wolle: Beauftragter für den „Aufbau Ost“. Sein Ziel: „Ich will den Osten mit Hilfe der Börse sanieren.“
Dafür kramt Hoffmann ein Programm raus, das schon ein wenig Staub angesetzt hat. Hoffmann will Wählerstimmen gewinnen mit der Ankündigung, alle Plattenbauten im Osten dem Erdboden gleichzumachen, um an gleicher Stelle Eigentumswohnungen zu errichten. Finanziert werden soll das Projekt mittels eines Fonds, in den verdeckte Gewinne von Großkonzernen fließen. Der Sachsenfonds. Dass seit geraumer Zeit landauf, landab die Plattenbauten ohnehin und ohne ihn abgerissen werden, scheint ihn wenig zu stören. „Durchführen kann das nur einer wie ich. Da gibt es keinen Konkurrenten.“
Hoffmann will die Sachsen mit einem Slogan locken, der auch irgendwie bekannt klingt: „Let us come together“. Er meint den Spruch nicht nur ernst, sondern glaubt auch, der Richtige zu sein, ihn zu vertreten. „So ein Unbeteiligter wie ich kann das am besten“, sagt er und wirft sich in die Lehne seines Sessels. „Bezogen auf alles.“
Vielleicht bleibt dem Osten all das erspart. Denn die Neuen Bundesländer sind für Hoffmann auch fast 15 Jahre nach dem Mauerfall unbekanntes Terrain. Von einer Mitarbeiterin seines Büros, die von dort stammt, muss er sich den Ort nennen lassen, aus dem sein Spitzenkandidat für die Landtagswahl kommt: Limbach-Oberfrohna.
In dem Städtchen zwischen Chemnitz, Leipzig und Dresden wohnt Dieter Annies, ein 60-jähriger Installateurmeister. Annies und Hoffmann scheinen die Personifizierung des Slogans „let us come together“: Der Millionär aus dem Westen und der arme Schlucker aus dem Osten.
Annies saß 1990 für die FDP in der letzten DDR-Volkskammer. Vor sechs Jahren ist er aus der Partei ausgetreten. Die „Politik der Besserverdienenden“ habe ihn abgestoßen. Hoffmanns Anzeigen zum Erhalt der Deutschen Mark haben ihn dagegen angesprochen. „Ich bin 1989 auf die Straße gegangen mit dem Spruch: Kommt die DM nicht zu uns, gehen wir zu ihr“, sagt er. Also wurde er Mitglied der D-Mark-Partei und Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes und seiner 30 Mitglieder.
Der Sachse versteht nicht ganz, was Hoffmann in Sachsen vorhat. Doch das beunruhigt ihn nicht weiter. Er vertraut auf die Weitsicht und das Geld von Bolko Hoffmann.