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Archiv-Artikel

„Amerika raus aus dem Irak“

Nach blutigen Tagen ist es in Mossul jetzt still. Fast totenstill. Wenn die Menschen etwas eint, ist es der Wunsch, die US-Besatzer loszuwerden

aus Mossul MARCUS BENSMANN

Nach zwei unruhigen Tagen ist eine unheimliche Stille nach Mossul zurückkehrt. Die meisten Läden und Restaurants sind geschlossen und die provisorischen Checkpoints verwaist, die die Bürgerwehren in aller Eile zum Schutz gegen Plünderungen errichtet hatten. Vor jedem öffentlichen Gebäude hängt die irakische Flagge.

„Mossul gehört nicht zu irgendeiner kurdischen Partei, sondern dem irakischen Staat“, sagt ein Passant dazu. Die Peschmergas haben sich aus der nordirakischen Stadt zurückgezogen, stehen aber nach wie vor einige Kilometer vor der Stadt und kontrollieren die dortigen Checkpoints. Auf dem zentralen Platz in Mossul stehen knapp hundert Männer, und sobald sie einen amerikanisches Panzerfahrzeug vorbeifahren sehen, recken sie ihre Fäuste und schreien: „ Amerika raus aus dem Irak, das Öl gehört uns, keine Pipeline von Mossul nach Israel.“ Es ist derselbe Platz, auf dem an zwei Tage hintereinander bei Schusswechseln wenigsten 14 Menschen starben und etwa 60 verletzt wurden. Die Leichenkammer eines Krankenhauses in Mossul bewahrt 10 Tote auf; 20 Mossuler liegen mit Schussverletzungen in den Krankenzimmern.

Am Dienstag hat der irakische Oppositionspolitiker Mischan al-Dschiburi die Menschen in Mossul zu einer Versammlung aufgerufen und wollte sich von dem Regierungsgebäude aus zum Gouverneur ausrufen lassen. Doch die Stimmung schlug um, die Menschen begannen, al-Dschiburi als ehemaligen Freund Saddam Husseins zu beschimpfen, die ersten Steine flogen und der irakische Politiker wurde tätlich angegriffen.

Zum weiteren Geschehen gibt es mehrere Versionen. Al-Dschiburi sei von den anwesenden amerikanischen Soldaten geschützt worden und diese hätten das Feuer eröffnet, sagen die Menschen auf dem Platz. So erzählt es auch ein Verwundeter im Krankenhaus. Die US-Soldaten hätten nichts mit der Proklamation al-Dschiburis zu tun gehabt, lautet die US-amerikanische Version. Aus der Menge sei auf die Marines geschossen worden und diese hätten das Feuer erwidern müssen. Beim Feuergefecht am Mittwoch gibt es als Augenzeugen einen deutschen Arzt, der aussagt, dass die Amerikaner aus dem Regierungsgebäude heraus als Erstes beschossen worden seien.

In dem Versammlungsraum der islamischen Jugend in der Mossuler Altstadt treffen sich die Stammesführer und die Imame der Stadt. Sie verurteilen die Vorgehensweise der Amerikaner. Ihr Ziel sei es aber, jegliche Konfrontation zu vermeiden, die Sicherheit aufrechtzuerhalten und die Administration wieder in Gang zu setzen. Die Imame hatten in den Tagen der Plünderung Bürgerwehren organisiert, Checkpoints errichtet und versucht die Stadt zu schützen.

Der Repräsentant der vor einigen Tagen neu gegründeten Hesbi Islami Iraki (islamisch-irakische Partei), Idris Hai Dawud, ist überzeugt, dass die Imame damit das Vertrauen der Menschen in Mossul erlangt hätten. „Die Geistlichen sind gegen jegliche Demonstration und Versammlungen, und in der Freitagspredigt werden wir die Gläubigen zur Mäßigung aufrufen“, sagt der Parteiführer. Die Bürgerwehren seien aufgelöst, denn die Amerikaner würden nun ihrer Ordungsverpflichtung nachkommen und vor allem seien die Peschmergas endlich aus der Stadt zurückgezogen, sagt Scheich Hai Dawud, 68. Er habe seit dem Verbot der islamischen Partei in den Sechzigerjahren im Untergrund gearbeitet und sei zweimal verhaftet worden, erzählt Hai Dawud. Nun sei er natürlich froh, dass das Regime Saddam Husseins gestürzt sei. Das heiße aber nicht, dass er die Anwesenheit der Amerikaner im Land und in der Stadt begrüße. „Mossul muss von seinen Bürgern regiert werden“, sagt er, „die Amerikaner haben die Stadt nicht vor den Plünderern geschützt.“

Aus demselben Grund traut Hai Dawud auch den 400 Uniformierten des Irakischen Nationalkongresses von Ahmad Chalabi nicht, die seit vier Tagen in der Stadt sind und als Einzige neben den Marines das Recht haben, auf der Straße Waffen zu tragen. Die Soldaten des freien Iraks, wie sie sich nennen, sind in der Mehrheit irakische Araber aus dem Süden. Sie haben in dem ehemaligen Militärhospital in Mossul zusammen mit einer Einheit der Marines Quartier bezogen und werden von Nabeel Musawi, 41, angeführt, dem Stellvertreter Chalabis.

Seine Aufgabe sei es, die Sicherheit in der Stadt wiederherzustellen, sagt Musawi, und die zivile Stadtverwaltung wieder in Gang zu setzen. Er spricht fließend Englisch, nennt sich „Politiker in Uniform“ und empfängt durchgehend die geistlichen und die Stammesführer der Stadt. Musawi will sich jedoch nicht als Interimsgouverneur sehen und auch nicht für das Amt zur Verfügung stehen. „Einer hat das schon versucht, und das ist verdammt schief gelaufen“, sagt er trocken. Auf die Frage, warum die Amerikaner die vorhersehbare Plünderung Mossuls nicht verhindert hätten, sagt er kryptisch: „Wenn ich das beantworte, dann kann ich gleich meinen Kopf unter das Fallbeil legen.“