Hamlet auf dem Korridor

Heiner Müllers „Hamletmaschine“ überzeugt auch in den Beton-Innereien des Dortmunder Theaters. Eine Nachwuchs-Inszenierung auf dem nackten Gang zwischen Schauspielhaus und Opernsaal

VON PETER ORTMANN

Wenn im Rücken die Ruinen der Theater stehen, dann wird Heiner Müllers „Hamletmaschine“ immer noch als zeitlos über den Wassern der Ozeane schweben. „Man kriegt den Text nicht in Griff“, sagt Mathias Frank, Regieassistent am Schauspielhaus Dortmund. Er hat das Werk, des 1995 verstorbenen deutsch-deutschen Dramatikers zusammen mit seiner Kollegin Carolin Mader dennoch inszeniert. In einem kargen Beton-Korridor zur Geisterstunde. „Das ist ein störrischer Ort, der sich erst einmal klassischen Theaterbildern verweigert“, sagt Mader. Es ist ihre erste gemeinsame Regiearbeit.

Mitten in der Nacht, dafür ohne Parkplatzsorgen, finden sich die Besucher im Theater ein, werden in die Innereien des Theaters geführt, müssen mitten in einem Treppenhaus auf schmalen Holzpritschen Platz nehmen. Die Titelmusik von „Drei Engel für Charlie“ stimmt auf den ungewöhnlichen Neun-Seiten-Text ein. Dazu summt leise die Klimaanlage. „Ich war Hamlet“ – der junge Schauspieler Manuel Harder rezitiert eine Treppe höher über den Köpfen der Zuschauer, gießt Blumen, während Ophelia noch regungslos nebenan an einem Tisch auf ihren Auftritt wartet, von Tüchern verhüllt.

Hamlet will nicht mehr Hamlet sein. Er hat es satt, dem blutigen Befehl seines Vaters Folge zu leisten. Die maximale Antriebsschwäche führt zu einer inneren Leere, die ohne Auftrag nicht mehr gefüllt werden kann. „Gestern habe ich aufgehört mich zu töten“, auch Ophelia (Johanna Marx) verweigert ihre Rolle, verschwindet in Dortmund nach Regieanweisung im Umkleideraum. Im vierten Bild sitzen beide an der Mauer, lesen die Grafittis. Nicht von Müller, aber: „Das Textbuch ist verloren gegangen“.

Die Hamletmaschine wurde 1977 in der DDR geschrieben, auf der anderen Seite der Mauer wird die RAF gejagt. Der Text hat wie Shakespeares Vorlage fünf Akte, in denen Heiner Müller auf Spurensuche geht nach der zeitlosen Essenz des Hamlet. Bei der Dortmunder Inszenierung hat der ungewöhnliche Ort nur kurze Zeit, seinen Reiz zu entfalten, dann übernimmt die Macht der Müllerschen Dichtung wieder die Oberhand und der Zuschauer versinkt in die eigene Bilderwelt. So prickelnd sind nackte Kellerräume dann doch nicht.

Freitag, 23:00 Uhr, Theater DortmundKarten: 0231-5027222