Zum Narren geboren, zum Lachen bestellt

Für Einheimische und Kenner ist der Straßen- und Kneipenkarneval die Hauptsache am Kölner Treiben. Nicht in der Innenstadt, sondern in den Kneipen von Nippes, Ehrenfeld, der Südstadt oder im Belgischen Viertel geht die Post ab

Keine Frage, der Kölsche Karneval ist über die Landesgrenzen hinaus populär. So populär, dass es 20 Sendboten der Kölner Initiative „lossmersinge“ in der Ständigen Vertretung Berlin mühelos gelang, mit Karnevalsliedern hauptstädtische Menschenmassen zum Mitsingen und Schunkeln zu bringen. Seit drei Jahren übt „lossmersinge“ im Vorkarneval in gut besuchten Kneipenterminen die Karnevalslieder der Session ein und bereitet das Kölner Volk auf die tollen Tage vor.

Der Straßen- und Kneipenkarneval ist für Kenner die Hauptsache am Kölner Karneval. Wer den Kulturschock im eigenen Land erleben möchte, begebe sich in Köln während der tollen Tage in die richtige Kneipe. Als Fremder sollte er nicht alleine gehen, wenigstens einen karnevalserprobten Begleiter dabeihaben und die Kneipe nicht in der Altstadt und Innenstadt suchen, sondern in Stadtteilen wie Nippes, Ehrenfeld, Sülz, die Südstadt oder das Belgische Viertel.

Dort lernt er als erstes, das Wort Gedränge neu zu definieren und zu vergessen, dass der Mensch zum Atmen Sauerstoff braucht. Wenn ihr oder ihm Galasitzungen zu teuer oder die Karten ausverkauft sind und er oder sie die offizielle Eröffnung auf dem Altermarkt verpasst, macht das gar nichts. Die meisten Kölner sind da auch nicht.

Nicht dort, sondern in den Kneipen, in denen gesungen, geschunkelt, Bier getrunken und getanzt wird, geht die Post ab. Nicht um gesehen zu werden, geht man hin, sondern um mitzumachen. Der wahre Platz des Kölner Karnevals ist seit eh und je die Kneipe oder die Straße.

Die Karnevalisten mit Frack, Uniform und Narrenkappe teilen diese Sicht natürlich nicht. Der so genannte Gesellschaftskarneval verfolgt weniger lustvolle Interessen, gleichwohl bestimmt er das öffentliche, im Fernsehn tradierte Bild des Karnevals. Die TV-Übertragungen der großen Sitzungen sind, neben dem Schauspiel unbeholfener Eitelkeiten, gigantische Werbemaßnahmen für die Stadt. Indirekt werben sie damit auch für die spontanen Formen des Karnevals, die die im Karneval aktive Nomenklatur eher meidet.

Maßnahmen gegen vermeintliche Auswüchse des Kneipen- und Straßenkarnevals waren der Ursprung des Gesellschaftskarnevals. Den Straßenkarneval hatten die Franzosen aus Angst vor Revolten verboten. Als 1814 das Rheinland preußisch wurde, lebte er, ohne direkt erlaubt zu sein, auf angeblich so wüste Art wieder auf, dass das prüde Patrizier- und Bürgertum sich jahrelang distanzierte und privat feierte.

Einige junge Leute aus diesen Kreisen zog es jedoch wieder auf die Straße. Sie bildeten einen Zirkel mit dem Ziel, „die Lust an öffentlichen Maskeraden in den gebildeten Ständen wieder hervorzurufen“. Das ist ihnen gelungen: Aus dem Zirkel wurde das „Festordnende Komitee“, das, mit Billigung der preußischen Verwaltung, den Straßenkarneval in den Griff nahm.

1823 organisierte es erstmalig den Rosenmontagszug, damals eine Selbstdarstellung der Oberschicht, heute der politischen und wirtschaftlichen Drahtzieher. Witzigerweise wurde bald danach den Kölnern das Symbol ihrer Bekenntnisidentität, die Narrenkappe, von den Preußen aufgesetzt. Die Erfindung dieser Kopfbedeckung geht auf einen Vorschlag des preußischen Kommandeurs in Köln zurück, als „Unterscheidungszeichen der Eingeweihten“. Die Ironie dieses Vorschlags scheint den Kölnern verborgen geblieben zu sein. Sie akzeptierten ihn, offenbar geschmeichelt, mit untertänigstem Dank. Gisela Völger