: Starkes Vaterunser
Das Kinder- und Jugendtheater im Werftpark, das als Teil des Theater Kiel gefördert wird, hat, ein wenig hilflos, den „Schimmelreiter“ inszeniert
von Oliver Törner
„In unserer Nachbarschaft wohnen vor allem Türken und Arbeitslose“, erklärt Norbert Aust, künstlerischer Leiter des Theaters im Werftpark im Kieler Stadtteil Gaarden. „Kultur und alles Wichtige wie die Uni findet sich auf der anderen Fördeseite.“ Umso stolzer ist er, der das Kinder- und Jugendtheater seit 20 Jahren leitet, auf die hervorragende Zusammenarbeit mit den Schulen und die fast immer ausverkauften Aufführungen im Haus und unterwegs (ca. 26.000 Zuschauer bei über 300 Veranstaltungen). All dies spricht für gute Chancen, dass sein Konzept von Theater als Ort der kulturellen und moralischen Partizipation Früchte trägt.
Bei der jüngsten Premiere des Schimmelreiter in der vorigen Woche haben er und die Dramaturgin Hanne Stig grüne Haare. Farbreste einer Veranstaltung vorm Kieler Rathaus, bei der beide als Meeresbewohner Kinder auf Foto-Sessions begleiteten. „Damit kriegen wir in der Lokalpresse Aufmerksamkeit, wie wir sie via Anzeigen gar nicht bezahlen könnten.“ Auch der Etat, die Spenden und Projektgelder wollen stets aufs Neue verteidigt sein. Selbst in einer Stadt, in der zwar die Förderung der freien Gruppen gegen null geht, die aber wie Bremen – und im Gegensatz zu Hamburg – eine solche Bühne als Sparte des Stadttheaters unterhält.
Vor diesem Hintergrund holt Norbert Aust gerne Gäste an sein Haus, einen verwinkelten Altbau. So ist Der Schimmelreiter, eine Koproduktion mit DeichArt, einem Verbund frei schaffender Schauspieler, Regisseure und anderer Künstler, die mit vielfältigen Produktionen ein breites Spektrum an darstellerischen Möglichkeiten suchen. Gast dieses Stücks ist – neben zwei Akteuren – die Autorin und Regisseurin Franziska Steiof. Seit Jahren inszeniert sie hier, etwa im letzten Herbst Peer Gynt oder Die Nächte der Schwestern Brontë, das 1995 mit einer Einladung zum Deutschen Kinder- und Jugendtheatertreffen ausgezeichnet wurde. Aber auch beim Hamburger Theater Triebwerk inszenierte sie, am Grips Theater oder der Schillertheaterwerkstatt Berlin, wo sie 2002 mit Igor Bauersimas Doppelselbstmord-Stück norway.today für den Friedrich-Luft-Preis der Stadt nominiert war. Auch dem Schimmelreiter nähert sich Franziska Steiof mit größtem Gespür für intensive Bilder in sparsamster Kulisse. Storms Geschichte um den Deichbauer und Neuerer Hauke Haien bringt sie mit gerade mal vier Spielern auf die Bühne. Die wechseln im Handumdrehen zwischen einer Fülle von Figuren und schaffen dabei immer wieder wunderbar dichte Momente. Die Rahmenhandlung präsentieren sie mitreißend chorisch. Und die spröden Charaktere der Figuren zeichnen die Akteure oft mit wenigen Gesten, so etwa Eirik Behrendt und Nickel Bösenberg als Vater und Sohn Haien. Oder Maike Wehmeier, die sowohl Haukes Frau Elke als auch deren Tochter Wienke spielt. Pointiert auch Tom Keller im Wechsel mit anderen als Erzähler, der am Keyboard mit eigenen Kompositionen begleitet. Dazu, gekonnt eingesetzt, spontan getanzte Gefühle: Stolpersteine im Erzählstrom, der etwas von Ebbe und Flut in seinem Rhythmus trägt.
Als bühnenbreites Bild im Hintergrund gleißt derweil das Wattenmeer mit Wogensaum, mal böse und mal friedlich. Plötzlich schleichen sich auch Gags und ironische Distanzierungen ein. Ein guter Kontrapunkt zur Düsternis der Geschichte, doch zunehmend auch lesbar als Signal der Hilflosigkeit gegenüber dem komplexen Stoff. Kein Zufall etwa, dass das komplette Vaterunser, das Heike bei der Beerdigung ihres Vaters spricht, auf das Publikum besonders stark wirkt. Es fällt heraus, weil (Aber-)Glaubensfragen in der Inszenierung nicht wirklich thematisiert werden.
Nächste Aufführungen: „Peer Gynt“: 21. 2., 20 Uhr. „Der Schimmelreiter“: 27. 2., 20 Uhr, Theater im Werftpark (Ostring 187 a, Kiel-Gaarden/Ellerbek). Karten unter Tel.: 0431-95095