: Verheerende Erfahrungen
In den USA sind kriegskritische Bücher Bestseller. Besonders erfolgreich: der Bericht des Elitesoldaten Anthony Swofford über den zweiten Golfkrieg und der große Essay des Kriegsreporters Chris Hedges
von TOBIAS RAPP
Wer in den vergangenen Wochen einen Blick in die amerikanischen Sachbuch-Bestsellerlisten warf, konnte eine erstaunliche Entdeckung machen. Der patriotische Furor, mit dem sich das amerikanische Fernsehen und ein Großteil der Zeitungen und der Radiosender der Irak-Kriegsberichterstattung widmeten, fand in der begleitenden Lektüre keine Fortsetzung. Zwar finden hurrapatriotische Schinken nach wie vor reißenden Absatz, in denen die Liberalen für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht werden, genau wie Michael Moores „Stupid White Men“ sich immer noch prächtig verkauft, indem er genau das Gegenteil für richtig erklärt.
Das erfolgreichste Buch der vergangenen Wochen war jedoch „Jarhead“ von Anthony Swofford, die Memoiren eines Veteranen des letzten Golfkriegs. Und auch „War Is a Force That Gives Us Meaning“, ein autobiografischer Essay des ehemaligen Kriegsreporters Chris Hedges, der schon im vergangenen Herbst herausgekommen war, fehlte in kaum einer New Yorker Buchhandlung auf dem Tisch, der die Bücher zur Lage der Nation präsentiert. Trotz oder vielleicht gerade wegen all der eingebetteten Reporter scheint es in der amerikanischen Öffentlichkeit ein gesteigertes Bedürfnis nach Stimmen zu geben, die differenzierter und mit ein wenig mehr Abstand von den Verheerungen zu berichten wissen, die Menschen im Krieg anrichten.
Swofford ist so jemand. Er diente als Scharfschütze im ersten Golfkrieg, und er erzählt lakonisch vom Leben im Militär. Die New York Times feierte „Jarhead“ als eines der besten Bücher, die jemals über dieses Leben geschrieben worden sind. Es ist ein Leben, dass im Wesentlich daraus besteht zu warten. Als der Besuch von Reportern angekündigt wird, sagt ein Sergeant: „Hört zu, wir haben das alles schon gehabt, aber der Captain will, dass ihr es noch mal hört. Werdet nie genau. Sagt, dass ihr von weit weg schießen könnt. Sagt, dass ihr hoch ausgebildet seid und dass es auf der ganzen Welt keine besseren Schützen gibt als die Scharfschützen des Marine Corps. Sagt, dass ihr aufgeregt seid, hier zu sein, und dass ihr an die Mission glaubt und dass wir die Irakis vernichten werden. Zieht eure Hemden aus und zeigt eure Muskeln.“ Dann bekommen die Soldaten den Befehl, für die Reporter im Chemiewaffenschutzanzug unter der brütenden Wüstensonne ein Footballspiel zu absolvieren. Es endet in einer Massenschlägerei.
In wirkliche Kampfhandlungen wird Swofford mit seiner Einheit nur kurz verwickelt, die einzige lebensbedrohliche Situation erlebt er, als seine Einheit unter friendly fire gerät. Tod und Verderben bekommt Swofford erst zu Gesicht, als amerikanische Bomber die irakischen Stellungen in Kuwait schon vernichtet und in ein surreal-apokalyptisches Szenario aus tausenden von verbrannten Toten verwandelt haben, durch das Swoffords Einheit dann marschiert. Da sie wochenlang nur herumgesessen haben und jetzt der ganze Krieg schon von den Bomberpiloten erledigt worden ist, fängt einer von Swoffords Kameraden an, die Leiche eines toten Irakers mit einem Spaten zu zerhacken. Später ballert die gesamte Einheit mit erbeuteten Waffen in die Wüste.
Es ist eine eigentümliche Subkultur, die Swofford beschreibt: ein Haufen hoch trainierter testosterongetriebener junger Männer, die durch die ständigen Ortswechsel während der Ausbildung einigermaßen entwurzelt wurden, die gleichzeitig unsagbare Angst vor dem Feind haben, jenem abstrakten Anderen, das sich da draußen in der Wüste verbirgt, und die sich doch unbesiegbar fühlen, die ihre Einheit lieben und jeden Vorgesetzten und jede andere Einheit hassen, die besessen sind von dem Gedanken, ihre Freundin könnte sie betrügen, und in einem fort über Bordellbesuche reden. Männer, die sich auf zynische Weise darüber bewusst sind: Dieser Krieg wird nicht für Ideale oder für ein Land geführt, sondern im Auftrag von „old white fuckers“, die „Milliarden von Dollar in den Ölfeldern zu gewinnen oder zu verlieren haben“.
Das Faszinierende an diesem Buch ist weniger, dass es einen Gegenentwurf zu der großen Fernseherzählung des Krieges liefert. Sowohl „Jarhead“ als auch „War Is a Force That Gives Us Meaning“ sind Bücher, die das erzählen, was man geneigt ist, sich zu den Fernsehbildern dazuzudenken. Und wenn Swoffords Buch davon handelt, was die eingebetteten Reporter erzählen könnten, wenn sie keine Reporter wären, dreht sich Hedges Buch um das, was sie erzählen könnten, wenn sie nicht eingebettet wären.
Chris Hedges hat für verschiedene amerikanische Zeitungen gearbeitet, vor allem für die New York Times. Er war in El Salvador, als dort der Bürgerkrieg tobte, er war in Bosnien und berichtete aus dem eingeschlossenen Sarajevo, er hat aus dem Sudan und dem Jemen berichtet, als dort blutige Bürgerkriege tobten. Er hat den Golfkrieg Anfang der Neunziger, die erste Intifada und den Kosovokrieg begleitet. Kurz: Wo immer sich in den letzten 20 Jahren Menschen gegenseitig systematisch umbrachten – Chris Hedges ist als Journalist wahrscheinlich dabei gewesen.
Hedges schreibt über Krieg wie ein Exjunkie über Drogen. Das gilt nicht nur für seine eigene Erfahrung. An einer Stelle berichtet er, wie er Jahre nach der Belagerung von Sarajevo in die Stadt zurückkehrt und eine Gruppe junger Leute trifft, die gleichzeitig nichts sehnlicher wollen, als endlich diesen vermaledeiten Ort zu verlassen. Und doch sprechen sie die ganze Zeit über nichts anderes als über das Zusammengehörigkeitsgefühl jener Monate, als man das Haus nicht verlassen konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, nicht wieder zurückzukommen.
Auch wenn Hedges ausführlich all die Zerstörungen und all das Leid beschreibt, dessen Zeuge er wurde, im Wesentlichen stellt er sich in einem fort die Frage, die sich wahrscheinlich die meisten Exjunkies stellen: Warum habe ich mir all das angetan? Hedges ist dabei ein minutiöser Chronist seines eigenen Verhaltens. Er erinnert genau, wie er sich etwa während einer Schießerei in dem Wissen weggeduckt hat, dass er so seinen Fotografen in die Schusslinie bringt. Im Grunde umkreist er so immer wieder seine Frage nach dem Sinn mit neuen Geschichten, statt sie zu beantworten.
Unter Aufbietung von allem, was die abendländische Literatur von Homer über Shakespeare bis zu Remarque an Kriegsgeschichten zu bieten hat, beschreibt Hedges wie im Krieg Sinn produziert wird. Er beschreibt die Subkultur des Kriegs, jene sozialen Systeme, die von Aufregung und Macht handeln, jenes „bizarre und fantastische Universum“, das „eine groteske und dunkle Schönheit hat. Es dominiert Kulturen, zerstört Erinnerung, korrumpiert Sprache und infiziert alles, was es umgibt.“ Und Krieg ist nicht zuletzt auch ein Gefüge, das ganz schlicht von dem Gefühl handelt zu leben, während die anderen tot sind.
In „Jarhead“ setzt sich Anthony Swofford mitten in der Wüste in einen Kreis verkohlter Leichen irakischer Soldaten. „Die Gegenwart von so viel Tod erinnerte mich daran, am Leben zu sein“, denkt er sich und übergibt sich in den Sand.
Anthony Swofford: „Jarhead“. 260 Seiten, Scribner, New York 2003, 24,20 €ĽChris Hedges: „War Is a Force That Gives Us Meaning“. 212 Seiten, Public Affairs, New York 2002, 23,20 €