: Italienische NS-Opfer kämpfen um Geld
In Berlin beginnt ein Musterprozess um die Entschädigung für Italiener, die nach 1943 in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten. Bundesregierung lehnte Zahlungen ab. Gericht verweigerte Prozesskostenhilfe für über 80-jährige Kläger
VON HEIKE KLEFFNER
Vor dem Verwaltungsgericht Berlin beginnt heute ein Prozess gegen die Bundesregierung und die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“, durch die ehemalige NS-Zwangsarbeiter entschädigt werden sollen. Im Mittelpunkt des Zivilverfahrens steht die Weigerung der Regierung, rund 60.000 heute noch lebende italienische Militärinternierte für die Zwangsarbeit zu entschädigen, die sie nach ihrer Gefangennahme im September 1943 im nationalsozialistischen Deutschland leisten mussten. Als „Musterklage“ bezeichnet Rechtsanwalt Joachim Lau, der rund 4.200 ehemalige Militärinternierte vertritt, das Verfahren.
Lau hat Bundesregierung und Stiftung auf jeweils 7.500 Euro Schadensersatz und Entschädigung in zwei Fällen verklagt.
Giacomo Malberto, der heute 83 Jahre alt ist, wurde 1943 als Soldat der italienischen Armee in Athen von der Wehrmacht festgenommen und nach Deutschland deportiert. 1945 befreiten ihn die Alliierten aus dem sächsischen KZ Teichwolframsdorf, wo die Häftlinge zwangsweise in Industriebetrieben arbeiten mussten. Für die Hälfte der mit Malberto nach Deutschland deportierten Italiener kamen die Befreier zu spät. Sie starben aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen im KZ.
Der heute 82-jährige Antonio Basile wurde 1943 nach Luckenwalde bei Berlin deportiert und zur Zwangsarbeit gezwungen – bis zur Befreiung im April 1945.
Nachdem Generalfeldmarschall Piedro Badoglio am 8. September 1943 den Austritt Italiens aus dem Krieg erklärt hatte, verschleppte die Wehrmacht rund 620.000 italienische Soldaten nach Deutschland. Der Kriegsgefangenenstatus wurde den vormaligen Verbündeten jedoch per „Führerbefehl“ verweigert. Stattdessen erklärte sie Hitler zu „Militärinternierten“. „Damit wurde den Gefangenen der Schutz der Genfer Konvention verweigert. Sie waren jeder Willkür ausgesetzt“, sagt der Freiburger Historiker Gerhard Schreiber. Den Bewachern von Wehrmacht und SS galten sie als „Verräter“, entsprechend unmenschlich wurden sie behandelt. Daran änderte sich auch nichts, als Mussolinis Restrepublik in Verhandlungen mit Hitler 1944 einen Statuswechsel durchsetzte. Von nun an galten die Betroffenen als „Zivilarbeiter“. Die Zwangsarbeit blieb.
Im August 2001 lehnte die Bundesregierung Anträge von rund 60.000 ehemaligen italienischen Militärinternierten auf Entschädigung ab. De facto seien sie Kriegsgefangene gewesen und die seien von Entschädigungen aus dem Zwangsarbeiterfonds ausgeschlossen, argumentierte der Völkerrechtler Christian Tomuschat als Gutachter der Regierung. Kriegsgefangene seien zur Arbeit verpflichtet gewesen. Die juristische Klassifizierung der Italiener als Militärinternierte und später als zivile Zwangsarbeiter seien illegale Handlungen des NS-Regimes gewesen und würden nichts am eigentlichen Status der Betroffenen als Kriegsgefangene ändern.
Das Gericht machte den beiden Betroffenen aus Italien, die wegen Erkrankungen nicht zur Prozesseröffnung kommen konnten, schon im Vorfeld wenig Hoffnung auf Erfolg ihrer Klage. Die Richter lehnten Prozesskostenhilfe für Malberto und Basile, die beide von einer Mindestrente leben, ab. Sollte die Klage abgewiesen werden, will ihr Anwalt nicht aufgeben. In Erwägung gezogen werden eine Verfassungsbeschwerde und die Anrufung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Strassburg.