: Minervas Eulenflug
Dass sein Ende nah ist, will niemand mehr verkünden: Des Buches und seiner großen Vergangenheit wird heute per Welttag gedacht
Waren das noch Zeiten! Damals, Mitte der 90er-Jahre, als das Internet eine Novität war, als der Begriff Hypertext noch schwer über die Lippen kam und das Wort ‚vernetzen‘ im Duden noch keinen Platz zwischen ‚verneinen‘ und ‚vernichten‘ gefunden hatte, damals also begannen Propheten von der informatischen Revolution zu schwadronieren. Und – erinnern Sie sich? – vom Ende des Buches.
Eine kokette These, die längst niemand mehr vertreten haben will. Erst recht nicht heute, am Welttag des Buches. Als sie aufkam, erregte sie zunächst Bekümmerung und Widerspruch. Dann sank sie herab zurFolie für die engagiert-trivialsoziologische Beteuerung, Internet und Papierbuch schlössen einander nicht aus: Überschwemmen denn nicht jährlich mehr neue Titel den Markt?, frug man rhetorisch. Spätestens mit dem dritten Harry-Potter-Band galten die Apokalyptiker als erledigt: Widerlegt via Rekordverkauf.
Und wenn das Gegenteil der Fall wäre? Wenn die Massenproduktion vor allem die Inflation des Buches bedeuten würde – sprich: seine Vermüllung? Ließ sich die Unesco von tieferer Einsicht lenken, als sie 1995 das Sterbe-, nicht das Geburtsdatum der Heroen Shakespeare, Cervantes sowie des Chronikschreibers Garcilaso de la Vega zum Tag des Traditionsmediums bestimmte? Die Feier –ein Eulenflug der Minerva? Wäre das Buch bereits tot?
Das darf doch nicht wahr sein! Drum gilt es, sich Gedanken über die Zukunft des Buches zu machen: Wie könnte es aussehen? „Sinnlich und digital“, kontert eine Veranstaltung der Universität Bremen im Museum Neue Weserburg gleich mit dem Subtitel. Ehrensache, dass die am 23. April stattfindet, an dem im Land Niedersachsen sogar ein ganzer Bücherfrühling ausbrechen soll: Im Oldenburger Kulturzentrum etwa lesen vier einheimische Künstler aus Lieblings-Büchern, in Osnabrück erfreut man sich des Auflebens der Erich-Maria-Remarque-Rezeption im Westen und lässt Monica Bleibtreu Argentinisches vortragen, während in Hannover…
Besonders futuristisch mutet das allerdings nicht an: Lieblingsbücher müssen schon eine Weile im Regal stehen, Lesungen sind maximal der zweite Frühling eines Buchs. Und was war mit sinnlich und digital? Der Veranstalter hüllt sich in eine leicht abgestandene Metaphorik: Es handele sich um „zwei Seiten einer Medaille Zukunft“. Digital – zwei Seiten – das passt. Und ist zugleich verräterisch. Denn so gesehen ist das Buch seit Gutenberg digital: Schwarz ja, weiß nein – alles dazwischen ist bestenfalls Zierrat. Und sinnlich? Sind damit die duftenden Bände der Antiquare gemeint? Wäre der Gelehrte, der sich mit Leseware ins Kämmerlein zurückzieht, doch ein heimlicher Lüstling? Oder hieße das: Wenn schon Buch, dann ein prächtiger Bildband?
In diesem Sinne verdient Ilker Magas „Röportaj / Geschichten“ Beachtung: In ihm nämlich tritt der Text radikal zurück. Durchaus zum Glück, denn bereits die 16-zeilige Einleitung ist reichlich konfus und – mit der Behauptung, in Printmedien würden heute „recht wenig Fotografien“ gezeigt – kurios fehlerhaft. Dafür erzählen die Bilder von Branchengrößen wie Marc Riboud oder Sebatião Salgado einerseits, von jungen Meistern wie Kay Michalak, der vor kurzem noch für die taz-Bremen arbeitete, andererseits, so unbestimmte wie bewegende Foto-Geschichten: Realisiert auf einem Papier, das den Eindruck vermittelt, man hätte Originalabzüge in der Hand. Nein, damit ist kaum schon heute das Buch von morgen erschienen. Doch immerhin ein Band, dem man eine große Zukunft wünscht.
Benno Schirrmeister
Museum Neue Weserburg: Das Buch von morgen, heute, 19 UhrKulturzentrum PFL, Oldenburg: Zweimal gelesen, heute 20 Uhr