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Archiv-Artikel

Europas letzte Mauer öffnet sich

Zyperntürken kündigen Öffnung der Demarkationslinie für Tagesbesuche zwischen Nord und Süd auf der geteilten Insel an. Republik Zypern spricht von einem Propagandatrick Denktaschs und will eigene vertrauensbildende Maßnahmen beschließen

von KLAUS HILLENBRAND

Die letzte Mauer Europas soll von heute an durchlässiger werden: Die Behörden der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern wollen ihren Bürgern künftig die Einreise in die Republik Zypern im Süden erlauben. Allerdings erinnert die vorgesehene Regelung stark an die früheren Einreisebedingungen der DDR: Demnach müssen türkische Zyprioten spätestens um Mitternacht wieder in den Norden zurückkehren. Umgekehrt soll es auch den Zyperngriechen erlaubt sein, den Norden gegen Vorlage ihres Reisepasses für einen Tagestrip zu besuchen.

Die von einer UN-Blauhelmtruppe überwachte Demarkationslinie trennt seit 1974 Inselgriechen und -türken nahezu vollständig. Nur mit seltenen Sondergenehmigungen war es den Zyprioten erlaubt, die jeweils andere Seite für einen kurzen Aufenthalt zu besuchen. Mit den Checkpoint Ledra Palace in der geteilten Hauptstadt Nikosia existiert nur ein einziger Übergang über die mit Stacheldraht, Sandsäcken und Wachtürmen gesicherte Grenze. Bisher durften dort nur Diplomaten und UN-Blauhelme die so genannte grüne Linie überqueren. Touristen ist der Übergang nur von Süden nach Norden erlaubt.

Die vorsichtige Öffnung gilt als eine Reaktion des zyperntürkischen Machthabers Rauf Denktasch, 79, auf die Proteste der Zyperntürken gegen seinen isolationistischen Kurs. Denktasch hatte die Gründung eines gemeinsamen Bundesstaates und dessen Integration in die EU abgelehnt und damit einen Plan von UN-Generalsekretär Kofi Annan torpediert. Die große Mehrheit der Zyperntürken unterstützt den Annan-Plan dagegen. Mehr als ein Drittel aller Bewohner Nordzyperns nahm jüngst an Demonstrationen teil, auf denen der Rücktritt Denktaschs verlangt wurde. Wegen der Weigerung Denktaschs erhielt in der vergangenen Woche nur die griechisch dominierte Republik Zypern die EU-Mitgliedschaft.

Denktaschs Sohn und Vizepremier Serdar bezeichnete die Grenzöffnung gestern als eine vertrauensbildende Maßnahme. Das Ganze sei ein Test, ob Griechen und Türken zusammenleben könnten.

Der zyperngriechische Regierungssprecher Chrysostomidis bezeichnete die Reiseerlaubnis als einen Versuch Denktaschs, „von seiner unnachgiebigen Haltung bei der Lösung der Zypernfrage abzulenken“. Alle Bürger Zyperns hätten das Recht, sich frei zu bewegen. Außenminister Iakovou kündigte an, dass die Behörden nur Zyperntürken die Einreise erlauben würden, nicht aber Siedlern aus der Türkei, türkischen Soldaten oder in den Norden eingereisten Touristen. Diese befänden sich illegal auf der Insel. Wie das kontrolliert werden soll, blieb gestern unklar.

Auch die Republik Zypern hat vertrauensbildende Maßnahmen angekündigt. So soll der Export landwirtschaftlicher Produkte aus dem verarmten türkischen Teil in den Süden künftig erlaubt werden. Im Süden untergebrachten Touristen sollen künftig auch mehrtägige Besuche im besetzten Teil möglich sein. Ferner wird darüber diskutiert, wie man eine Beteiligung der Zyperntürken an Wahlen möglich machen kann. Juristisch gelten die zyperntürkischen Bewohner des Nordens als Staatsbürger der Republik Zypern und damit ab Mai 2004 auch der EU.

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