: Grüne wollen sich mehr vertrauen
Bei den Grünen läuft seit gestern die Urabstimmung darüber, ob man künftig gleichzeitig ein Parteiamt und auch ein Abgeordnetenmandat innehaben darf. Die Mitglieder zeigen nur mäßiges Interesse am einstigen Aufreger-Thema
aus Berlin ULRIKE HERRMANN
Genau 43.391 grüne Mitglieder erhalten in den nächsten Tagen einen Brief ihrer Parteizentrale: Seit gestern läuft die Urabstimmung, ob die Trennung von Amt und Mandat gelockert werden soll. Die Basis entscheidet, ob künftig zwei der sechs Bundesvorständler auch Abgeordnete des Bundestages oder eines Landtages sein dürfen.
Das grüne Urprinzip würde also nicht komplett verabschiedet: Es bleibt ausgeschlossen, dass ein grüner Parteichef gleichzeitig auch Minister, Fraktionsvorsitzender oder EU-Kommissar sein könnte. Einsendeschluss ist der 13. Mai; am 23. Mai wird dann das Ergebnis bekannt gegeben.
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke rechnete gestern damit, dass sich die Basis „sehr breit beteiligt“. Sie ließ auch keine Zweifel über das Ergebnis aufkommen: „breite Unterstützung“.
Das grüne Statut stützt diesen Optimismus: Bei einer Urabstimmung wird nur die einfache Mehrheit benötigt, um die Satzung zu ändern. Zudem ist kein Quorum festgeschrieben, wie viele Mitglieder sich mindestens beteiligen müssen. Auf Parteitagen ist hingegen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, um die Satzung zu ändern. Zuletzt scheiterte dies im Dezember auf dem Parteitag in Hannover, es fehlten ganze 8 Stimmen. Die Parteivorsitzenden Fritz Kuhn und Claudia Roth mussten zurücktreten, weil sie inzwischen in den Bundestag eingezogen waren. Ihre Nachfolger wurden Angelika Beer und Reinhard Bütikofer.
An diesem Personaltableau wird sich zunächst auch nichts ändern – selbst wenn die Basis zustimmen sollte, die Trennung von Amt und Mandat zu lockern. Der aktuelle Bundesvorstand sei „für zwei Jahre gewählt“, stellte Lemke gestern klar.
Vielleicht liegt es an dieser konkreten Folgenlosigkeit, dass die Urabstimmung momentan ein wenig akademisch wirkt – und nur noch durchgeführt wird, weil es auf dem Parteitag in Hannover so beschlossen wurde. Lemke konstatierte gestern, dass die Diskussion über die Urabstimmung „in der Partei sehr ruhig“ sei. Die grüne Basis interessiere sich viel mehr für die Lage im Irak und auf dem Arbeitsmarkt. Über die Sozialreformen der „Agenda 2010“ wird Mitte Juni ein grüner Sonderparteitag in Cottbus befinden.
Um der Basis die Meinungsfindung bei der Urabstimmung zu erleichtern, wurde den Wahlunterlagen ein 13-seitiger „Reader“ beigelegt. Dort argumentiert Fraktionschefin Krista Sager mit ihrer „eigenen Erfahrung“ als Parteivorsitzende von 1994 bis 1996: „Wer nicht Parlamentsmitglied ist, bleibt nur Gast bei den Fraktionssitzungen. Es ist ein bisschen die Rolle der armen Verwandtschaft.“ Sie fordert „Schluss zu machen mit der Misstrauenskultur“. Christian Ströbele hingegen fürchtet die „Entstehung einer Abhängigkeits- und Filzstruktur“.
Die jetzige Urabstimmung ist die zweite in der Parteigeschichte. Im Jahr 1993 wurde die Basis befragt, ob sie einer Fusion von Bündnis 90 und den Grünen zustimme. Das Ergebnis ist bekannt.
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