: Oben und unten in Brandenburg
Hätte die große Koalition in Potsdam das Land nicht zweigeteilt, bekäme ganz Brandenburg ab 2007 Höchstförderung aus Brüssel. So aber gelten Schwarzheide, Cottbus und Forst plötzlich als reich
VON UWE RADA
Ist die Niederlausitz reich? Gehören die Landkreise im Süden Brandenburgs zu den europäischen Wachstumsregionen? Diese Frage stellt man sich seit gestern in Cottbus, Guben und Forst. Neben den Regionen um Potsdam und den anderen Städten im boomenden Speckgürtel Berlins gehört auch der Landkreis Spree-Neiße zu den Regionen in Brandenburg, die ab 2007 zu „reich“ sind, um noch in den Genuss der Höchstförderung aus Brüssel zu kommen. Und das bei einer Arbeitslosenquote, die vor allem in der strukturschwachen Lausitz schon lange die 20-Prozent-Marke übersprungen hat.
Was ist Arm und Reich in Brandenburg? Auch am Kabinettstisch der großen Koalition in Potsdam wird diese Frage derzeit wieder diskutiert. Schon bevor der Brüsseler EU-Kommissar für die Regionalförderung, Michel Barnier, am Mittwoch die Regionen nannte, die nach der Osterweiterung der EU auch weiterhin so genannte „Ziel-1-Fördergebiete“ bleiben oder aus dieser Förderung herausfallen, hatten einige CDU-Abgeordnete die Landesregierung scharf angegriffen. Sollte der Südwesten Brandenburgs nicht mehr Ziel-1-Gebiet sein, müsse Brandenburgs Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD) dafür geradestehen, forderten der Lausitzer Abgeordnete Ingo Senftleben und seine Fraktionskollegen Dieter Dombrowski und Christian Ehler.
Am Mittwochabend hatten sie es dann schwarz auf weiß. Neben Halle, Dresden und Leipzig wird Brandenburg-Südwest als einzige Region Ostdeutschlands keine Höchstförderung aus Brüssel erhalten. Die statistische Teilung des Landes, die wenigstens dem Norden Brandenburgs maximale Förderung sichern sollte, war ein Schuss in den Süden.
Zwar erklärten Dagmar Ziegler und Europaministerin Barbara Richstein (CDU) umgehend, die Teilung des Landes überprüfen und gegebenenfalls wieder rückgängig machen zu wollen. Doch der Streit war damit nicht vom Tisch. Schließlich hatten die CDU-Abgeordneten schon 2002 davor gewarnt, das Land statistisch zweizuteilen. In Potsdam waren sie aber auf taube Ohren gestoßen. „Die pessimistische Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die CDU-Politiker sei unrealistisch“, verteidigte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wolfgang Klein, im September 2002 den zuvor im Kabinett gefassten Beschluss.
Nun freilich weiß die SPD, dass sie es selbst war, die ganz unrealistisch auf wirtschaftlichen Aufschwung gesetzt hatte. Auch nach dem Beitritt von zehn neuen Ländern zur EU käme ganz Brandenburg auf 73,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU-Staaten. Und es bliebe in der Höchstförderung – wenn man es nicht geteilt hätte. So aber kommt der Südwesten mit den Industriezentren um Ludwigsfelde, der BASF in Schwarzheide und Vattenfall im Braunkohlerevier auf 77,8 Prozent. Das sind sogar noch 0,4 Prozentpunkte mehr als der Regierungsbezirk Leipzig, der auf 77,4 Prozent kommt.
Gleichwohl macht die demonstrative Gelassenheit von Richstein und Ziegler Sinn. Schließlich werden für die im nächsten Jahr erwartete endgültige Entscheidung über die Regionalförderung 2006–2013 nicht die Zahlen von 2002 und 2003 zugrunde gelegt, sondern auch die von 2004. Geht die wirtschaftliche Talfahrt in Brandenburg weiter, kann es also gut sein, dass auch mit Zweiteilung das ganze Land weiterhin europäische Armutsregion bleibt.
Weitaus mehr als an eine Rücknahme der Teilung denkt man in der Potsdamer Staatskanzlei ohnehin darüber nach, wie man den Druck auf die Bundesregierung vergrößern kann, um doch mehr Geld für den EU-Haushalt locker zu machen. Bleibt es nämlich beim Nein aus Berlin, gibt es weitaus weniger Geld, als Michel Barnier in Aussicht gestellt hat.
Und das scheint der Bundesregierung auch gar nicht so unrecht zu sein. „Nach erster Durchsicht der Vorschläge bestehen erhebliche Zweifel, ob die Kommissionsvorschläge den Anforderungen an die zukünftige europäische Strukturpolitik gerecht werden“, erklärte Finanzminister Hans Eichel (SPD). Die EU-Strukturhilfen müssten auf die bedürftigsten Regionen konzentriert werden.
Fragt sich nur: Was ist bedürftig und was nicht?