: Mehr rechte Gewalt
Innenminister Otto Schily freut sich über Rückgang bei der „politisch motivierten Kriminalität“. SPD-Parteifreund relativiert Erfolgsmeldung
BERLIN taz ■ Einen Monat nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens hatte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern endlich wieder eine gute Nachricht zu verkünden. Die Zahl der „politisch motivierten Straftaten“ ist bundesweit gesunken – von 26.520 im Jahr 2001 auf 21.662 im vergangenen Jahr. „Diese positive Entwicklung“, teilte der Minister mit, sei „ein Erfolg der Politik der Bundesregierung“. Doch ausgerechnet ein Parteifreund relativierte umgehend Schilys schöne Zahlen.
Es gebe „keinen Grund zum Aufatmen“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy der taz. Im Gegenteil: Im Bereich der rechten Gewalt sei sogar eine „qualitative Verschärfung“ zu verzeichnen, stellte der Vorsitzende des SPD-Arbeitskreises Rechtsextremismus fest. Gesunken ist nämlich nur die Gesamtzahl der „politisch motivierten Kriminalität“ von rechts (minus 12 Prozent) und links (minus 18 Prozent). Unter diesem Oberbegriff werden alle Straftaten zusammengefasst, bei denen die Behörden einen allgemeinen politischen Hintergrund vermuten. Als „extremistisch“ gilt nur, wer auch den Sturz des politischen Systems anstrebt.
Was sich in Schilys Pressemitteilung erst im Kleingedruckten findet, hält Edathy für „besonders schlimm“: Bei den „extremistischen Straftaten rechts“ gab es einen Zuwachs um 8 Prozent auf 10.903. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stieg um 9 Prozent auf 772.
Noch problematischer ist die Darstellung des Ministeriums bei den „politisch motivierten Tötungsdelikten“. Demnach forderte rechte Gewalt 2002 kein einziges Todesopfer. So zählt etwa der Mord an dem 17-jährigen Marinus Schöberl, der im Juli 2002 im brandenburgischen Potzlow von drei jungen Rechtsextremisten zu Tode gequält wurde, nicht als „politisch rechts motivierte“ Tat. Die Täter hatten den 17-Jährigen als Opfer ausgesucht, weil er sich nicht dem rechten Jugendmainstream in Potzlow anpassen wollte, und ihn als „Jude“ beschimpft. Vier weitere Fälle aus dem Jahr 2002, in denen nach Recherchen von Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel das Tatmotiv „rechts“ für ein Tötungsdelikt vorliegen könnte, wies das Innenministerium als „unbegründet“ zurück.
LUKAS WALLRAFF, HEIKE KLEFFNER