: Uran in Gröpelinger Getreidespeicher
Einen Koffer in Bremen: Peter Greenaway will der Hansestadt mit Shakespeare-Company und Deutscher Kammerphilharmonie zu Strahlkraft verhelfen
Heißt der kulturelle Heilsbringer Bremens Peter Greenaway? Ein riesiges, multimediales Gesamtkunstwerk schwebt ihm vor – der Getreidespeicher in Gröpelingen soll in etwa einem Jahr der Aufführungsort für „The Children of Uranium“ sein. Die Bremer Shakespeare Company und die Deutsche Kammerphilharmonie sind bereits als Koproduzenten eingebunden.
Etwa 100 Mitwirkende sollen die Mischung aus Theater, Musik, Film und Bildender Kunst im Mai 2004 mit aus der Wiege heben, die auch im Internet und per CD-Rom aus der bremischen „Industriekathedrale mit kraftvollen Resonanzen“ in die globale Virtualität hinausgeschickt würde.
Am Mittwoch war der Filmemacher und Gesamtkünstler zusammen mit der holländischen Oper- und Theaterregisseurin Saskia Boddeke in der Stadt, um das Vorhaben im Rathaus, an der Hochschule für Künste und beim Werkstattgespräch im Theater am Leibnizplatz zu präsentieren. Dabei war es kürzlich noch sang- und klanglos abgeblasen worden. Doch nun nutzt Greenaway die Gunst der Stunde: Als Referenzprojekt für die Bremer Bewerbung ist das grandiose Spektakel mit garantierter Außenwirkung wie maßgeschneidert. Während der Diskussion im kleinen Kreis bei Shakespeares daheim wurde denn auch gleich vom Testfall für die „Kulturhauptstadtfähigkeit“ hiesiger Entscheidungsträger gesprochen.
Für Greenaway freilich ist das Bremer nur eines von mehreren Vorhaben, die dem Mantelprojekt „The Tulse Luper Suitcases“ zugehören: Drei Spielfilme, 92 Gesamtkunstwerke und mindestens drei Websides will er um seine Kunstfigur Tulse Luper herum gestalten. Der gerät zwischen 1928 und 1989 immer wieder in politische Haft. Aus seiner Gefangenschaft macht er Kunst, die jeweils in seinen 92 Koffern gefunden wird.
Greenaway, der schon immer mit viel Freude am Absurden auf Zahlen fixiert war, hat es die 92 besonders angetan. Sie ist die Ordnungszahl des Elements Uran, und seit der Detonation der ersten Atombome sind wir für ihn alle „Uranium Babies“. Also soll in „The Children of Uranium“ die 92 alles beherrschen: das Spiel wird entlang der Reihenfolge der 92 Elemente variert, 92 Objekte werden von Greenaway selbst kreiert, die Musik soll aus 92 Fragmenten bestehen und an 92 Tagen soll der Getreidespeicher Aufführungs- und Ausstellungsort sein.
Bei dieser Zahlenmanie ist es dann allerdings ein enttäuschender Stilbruch, wenn nur von 7 „Geburtshelfern“ des Uraniums die Rede ist: An diesen Wissenschaftlern und Politikern orientiert sich die Inszenierung. Isaac Newton, Marie Curie, Albert Einstein, Nikolai Chruschtschow, Michail Gorbatschow und George W. Bush sind dabei die offensichtlichen Kandidaten, aber jede wirklich gute Liste hat ein Überraschungselement. Also taucht bei Greenaway der Gründer der Mormonen-Sekte Joseph Smith auf. Als erster folgte erdem ultimativen amerikanischen Traum vom vergrabenen Schatz: Das ist in Greenaways Lesart das Uran. Wie all diese abstrakten Elemente und Ideen zur künstlerischen Einheit verschmolzen werden, ist wohl selbst dem Briten noch nicht ganz klar.
Sicher aber ist bereits, dass der Altmeister im Getreidespeicher unbedingt mit Zügen spielen will: auf den drei – wieder die falsche Zahl! – Gleisen, die dort ausgelegt sind, will er drei Eisenbahnen fahren lassen: Je einen für Zuschauer, Solisten und Orchester. Skeptische Nachfragen schmetterte Greenaway mit dem Satz, „die technischen Probleme sind immer am einfachsten zu lösen“, ab.
Wenn Greenaway und Boddeke ihr Projekt so perfekt umsetzen können, wie sie es am Mittwoch präsentierten – wofür ihre beeindruckende Erfolgsliste spricht – dann kann man nur im Interesse der Stadt hoffen, dass es tatsächlich realisiert wird.
Wilfried Hippen