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Archiv-Artikel

Harte Hände üben weichen Griff

AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY

Nicht bärtige Mullahs oder tief verschleierte Frauen streiten im Zentrum Teherans um die Gunst der iranischen Wähler – sondern eine amerikanische Comicfigur. Eine riesige eierdottergelbe Tweety-Ente steht am Straßenrand und reicht Handzettel in die vorbeifahrenden Autos. Sie hat Absatz. Die für ihre Raserei bekannten Autofahrer nehmen verblüfft den Fuß vom Gas. Ein genialer Einfall, aber nicht etwa der prowestlichen Reformkandidaten, sondern einer Gruppe streng konservativ-islamischer Bewerber. Mit ein wenig Ente à la Americain versuchen sie für die heutige Parlamentswahl im Iran noch ein paar Stimmen zu gewinnen.

Gute Ideen waren im Wahlkampf gefragt. Denn viele Iraner werden wohl gar nicht an den Urnen erscheinen, vor allem in den großen Städten. Der Grund: Das Gros der Reformer tritt nicht an. Die Kandidaten sind entweder vom iranischen Wächterrat als „unislamisch“ disqualifiziert worden oder haben aus Protest zurückgezogen. Mangels Konkurrenz und wegen der Wahlmüdigkeit all jener, die bei der Wahl vor vier Jahren noch begeistert für die Reformer gestimmt hatten, gilt der Sieg der Konservativen als so gut wie sicher.

Hassan *, 22, einer der Studentenführer an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Teheran, ist der Frust anzusehen. Mit zwei Mitstreitern sitzt er in einem kleinen Hinterzimmer des Instituts und zieht Bilanz über die letzten 25 Jahre: „Erst vertrauten alle dem Klerus, um den Schah zu verjagen. Dann haben wir gemerkt, dass der Klerus mehr Macht bekommen hatte, als er sollte. Schließlich kam Reformpräsident Mohammed Chatami, und wir haben darauf vertraut, dass er die Macht des Klerus brechen wird. Heute trauen wir niemandem mehr.“

Die Studenten, an der vordersten Front im Kampf nach mehr sozialen Freiheiten, sind von den Leistungen der Reformer im alten Parlament sichtlich enttäuscht. „Nichts ist geschehen. Selbst als wir auf die Straße gingen, haben sie uns nicht den Rücken gedeckt“, sagt Hassans Kommilitone Amir. Den Aufschrei der Reformer in den letzten Tagen bezeichnen die Studenten als „zu späten Mut“. Eine Einschätzung, die auch viele Reformaktivisten außerhalb der Universitäten teilen. „Wir haben viele Gelegenheiten ungenutzt gelassen“, sagt der Verleger Mohammed Musaffar selbstkritisch, wenngleich er hofft, dass die jetzige Niederlage dazu führt, dass sich die Reformer langfristig wieder neu formieren.

Hassan und seine Freunde dagegen haben die parlamentarischen Reformer längst aufgegeben. Sie debattieren untereinander, wie sich eine konservative Mehrheit in der Volkskammer auf die Gesellschaft auswirken könnte. Zwar erwarten sie, dass der Staat einige Reformer zur Abschreckung festnehmen oder die ein oder andere liberale Publikation dichtmachen könnte. Mittelfristig aber, glauben sie, könnten die Konservativen doch für eine Öffnung der Gesellschaft stehen. Nicht durch Reformen, sondern durch bewusstes Nichteinschreiten, wenn sich die Menschen Freiräume schaffen. „Die Konservativen wissen, dass sie nicht vollkommen gegen den Strom schwimmen können“, sagt Hassan.

Die Abgeordnete Dschamila Kadiwa, die wieder kandidiert, gibt dem Studenten Recht. Gut bedeckt mit einem Tschador empfängt sie die Journalisten in ihrem Wahlkampfbüro. Doch sie glaubt, dass „die unter dem Kopftuch hervorschauenden Haare länger und die Röcke kürzer werden“. Dafür, sagt sie, bedürfe es keiner parlamentarischen Entscheidung. „Die Konservativen werden das einfach zulassen.“

Ein Trend, der schon heute zu beobachten ist. Zwar hängen noch in vielen Restaurant die Schilder, die zum züchtigen Gebrauch des Kopftuches mahnen. Darunter allerdings haben junge Frauen Platz genommen, die das Kopftuch keck aus der Stirn gezogen haben. Niemand käme auf die Idee, sie darauf anzusprechen.

Bei der Frage, wie sich das leise Laisser-faire auf die konservative Bewegung im Lande auswirkt, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Studentenführer Hassan prophezeit ein Spaltung. „Die ideologischen Hardliner werden auf ihren Prinzipien beharren. Der größere andere Teil aber wird pragmatisch nachgeben, um an der Macht zu bleiben.“ Die Abgeordnete Kadiwa ist da skeptischer. „Die traditionellen Konservativen werden sich einfach ein wenig zurückziehen, und unsere Neokonservativen werden ihre Ideen reformieren, um nicht allzu sehr bei der Jugend anzuecken“, sagt sie.

Fragt man dagegen Sajed Ali Riad, dann werden sich die Konservativen nicht so sehr auf die umstrittenen politischen und moralischen, sondern auf wirtschaftliche Fragen konzentrieren – und auf ihre große Stärke: die zahlreichen islamischen Wohlfahrtsorganisationen. „Wir werden nicht andauernd wie die Reformer über Politik reden, sondern dem Volk konkrete Dienstleistungen erbringen“, erklärt der Konservative, der in Teheran kandidiert. Meinungsumfragen, sagt Riad, hätten ergeben, dass es der überwiegenden Mehrheit der Iraner um eine Verbesserung des Lebensstandards und um Arbeit gehe.

Eine Meinung, die auch unter den konservativen Basaaris, den Großhändlern, verbreitet ist. Sie gelten bis heute als eine der wichtigsten Säulen der islamischen Republik. Resa Jasdi ist einer von ihnen. Er entstammt einer bekannten konservativen iranischen Familie, die vor 25 Jahren aktiv an der islamischen Revolution beteiligt war. Jasdis Bruder war einst Justizminister. In seinem Haus im Norden Teherans sind im Gästezimmer neben einer edlen Koranausgabe Bilder Ajatollah Chomeinis und des heutigen geistigen Führers Ali Chamenei ausgestellt. „Wir sollten uns darauf konzentrieren, die wirtschaftliche Lage zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen“, sagt Resa Jasdi. Dann würden sich die Leute schon ganz alleine wieder hinter ihre Führung stellen und aufhören, über so unwichtige Dinge wie das Kopftuch zu streiten.

Denn wie Frauen ihr Kopftuch tragen, das sagt auch er, werde die Gesellschaft nicht wirklich korrumpieren. „Wenn einer zu Hause alleine einen trinkt oder eine Party macht, wenn es die Nachbarn nicht stört“, dann, sagt er „ist es uns auch egal.“

* Name geändert