EINE LÄNGERE LEBENSARBEITSZEIT VERSCHÄRFT SPANNUNGEN AUF JOBMARKT : Beim Altern herrscht Doppelmoral
Beim Thema Alter herrscht in Deutschland eine Doppelmoral. Einerseits kursiert eine Anpreisungsrhetorik wie in der Kampagne der Arbeitsämter „50 plus – die können es“. Andererseits regiert in vielen Firmen ein Geburtsdatum-Darwinismus: Bewerber über 50 werden nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Altersfrage ist eine der heikelsten sozialen Fragen, sie wird noch brisanter, wenn künftig das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben wird, wie Experten der Rürup-Kommission es fordern. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit könnte das wichtigste soziale Experiment der Zukunft werden.
Bisher schon klafft ein Abgrund zwischen dem gesetzlichen Renteneintrittsalter und dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt. Gesetzlich gilt ein Rentenbeginn mit 65 Jahren. In der Praxis aber schicken die Betriebe ihre älteren Mitarbeiter viel früher weg. Diese gehen in die Altersteilzeit oder melden sich arbeitslos. Wird das Renteneintrittsalter angehoben, müssen die Unternehmen ihre Mitarbeiter länger behalten – doch wie sieht das Verhältnis von Jung und Alt dann aus? Das ist die Frage.
Bleibt alles so wie bisher, verstärken sich die Spannungen zwischen Jobbesitzern und Arbeitslosen. Wer älter ist und arbeitslos, kommt nirgendwo mehr rein. Wer hingegen einen Job hat, erhält ein hohes Tarifgehalt und bleibt sicherheitshalber auf seiner Stelle hocken. Die Frage ist also: Brauchen die Älteren mehr Schutz oder mehr Flexibilität auf dem Jobmarkt?
Es spricht einiges dafür, dass mehr Flexibilität Ausschlüsse vermeiden hilft. Wenn beispielsweise Unternehmen das Gehalt mehr an der messbaren Arbeitsleistung orientieren können, dann stellen sie vielleicht eher Ältere ein, die im Zweifelsfall ein niedrigeres Entgelt bekommen können. Auch ein gelockerter Kündigungsschutz bei Neueinstellungen öffnet Optionen. Und mehr Teilzeitjobs werden künftig gebraucht. Die Altersfrage stellt einige Gerechtigkeitsfragen noch mal neu – aber eine faire Diskussion darüber ist besser als verschwiemelte Doppelmoral. BARBARA DRIBBUSCH