: Getrennt marschieren, getrennt randalieren
Auch in diesem Jahr rechnen Protestforscher mit gewalttätigen Auseinandersetzungen in Berlin am 1. Mai
BERLIN taz ■ Jährlich demonstrieren bundesweit etwa 100.000 Menschen am 1. Mai, aber es ist stets eine Minderheit, die am meisten Aufmerksamkeit erzielt: die militanten Protestzüge in Berlin. An ihnen nehmen bis zu 20.000 Personen teil – und auch diesmal rechnen Wissenschaftler mit gewalttätigen Auseinandersetzungen. Denn die Ausschreitungen seien „sinnstiftend“, so eine Studie, die Protestforscher Dieter Rucht gestern in Berlin vorstellte.
Bei den Krawallen handele es sich um „Rituale von Erinnerungsgemeinschaften“. Gemeinsam würde man sich jedes Jahr erneut auf das Ursprungsereignis beziehen: 1987 wurde in Kreuzberg ein Bolle-Supermarkt angezündet. Kurzzeitig entstand eine „polizeifreie Zone“. Und so avancierte die Bolle-Ruine zum „symbolischen Gründungsmythos des revolutionären 1. Mai“.
Allerdings wird dieses Symbol einer lustvollen Plünderung gleich von mehreren linksradikalen Gruppierungen beansprucht. So verteilte man sich im letzten Jahr auf drei verschiedene Demonstrationen, die sich zu drei verschiedenen Uhrzeiten am Nachmittag versammelten. In diesem Jahr will man den „linksradikalen Sandkastenspielchen“ (Rucht) durch eine Bündnisdemonstration linksradikaler und autonomer Gruppen entgegenwirken.
Allerdings hat eine Gruppe bereits angekündigt, dass sie sich nicht beteiligen will: die „Kritik und Praxis Berlin“ (KP), die nach eigenen Angaben über 30 Mitglieder verfügt. Als Reaktion drohte wiederum eine andere Gruppe an, sie würde „die Grenzen zu Kreuzberg dicht machen“, um KPs Protestzug zu stoppen. Damit sei der „Deutungskampf“ neu entbrannt, so Rucht, „wer der wahre Erbe des revolutionären 1. Mai“ sei. Einen gemeinsamen Nenner gibt es jedoch: Alle rufen zur Gegendemo gegen die NPD auf – natürlich nicht gemeinsam. PAMO