crime scene
: Mütter, Agentinnen

Man kennt sie aus dem Kino. Jodie Foster in „Panic Room“ zum Beispiel. Oder Charlize Theron in „24 Stunden Angst“. Amerikanische Mütter, die ihre eigenen Kinder wie Raubtiere verteidigen. Auch Martha, die Mutter in Kathy Hepinstalls Roman „Schlaf gut, mein kleiner Prinz“, ist besorgt: „Letzten Herbst betrat ein Mann mit einer AK-47 einen Laden in Vermont und tötete elf Menschen. Im selben Monat explodierte ein Bus in Kansas. Im Januar goss jemand etwas in einen See in Georgia, und siebzehn Menschen, die Fisch aus diesem See gegessen hatten, starben.“ Dann explodiert in der Schule ihres Sohnes Duncan eine Bombe, und Martha flieht mit ihm „an einen sicheren Ort“, in eine Höhle am Rio Grande. Man könnte auch sagen: Sie entführt ihren eigenen Sohn.

So weit ist Hepinstalls Roman eigentlich ganz in Ordnung, auch wenn Martha als „overprotective mother“, die in der Übersetzung etwas ungelenk als „überbeschützende Mutter“ bezeichnet wird, ziemlich anstrengend ist. Doch dann taucht dieser Privatdetektiv auf, der sie im Auftrag ihres Mannes suchen soll. Martha verliebt sich in ihn, was sonst, und spätestens an diesem Punkt bekommt man Angst, dass das „gänzlich überraschende Ende“ (Klappentext) genauso ausfällt wie erwartet. Martha ist eine derart hysterische Ich-Erzählerin, dass man sich auf der letzten Seite kein Stück darüber wundert, wie sie sich selbst und damit dem Leser die ganze Zeit über etwas vorgemacht hat. Amerikanische Mütter sind so verdammt berechenbar.

„Psychologischer Spannungsroman“ heißt dieses Genre, das sich die Mittel des Thrillers aneignet, um eine Geschichte zu erzählen, in der ein Verbrechen – wenn überhaupt – nur am Rande vorkommt. Viel raffinierter als Kathy Hepinstall beherrscht das der britische Autor Michael Frayn. Sein Schauplatz ist ein englischer Vorort mitten im Zweiten Weltkrieg. Während Brandbomben auf London fallen, herrscht hier eine fast beunruhigende Normalität. In der Luft hängt ein süßlicher Geruch von Liguster, und nach der Schule träumen Stephen und Keith in ihrem Versteck von unterirdischen Gängen und Verschwörungen. Dann sagt Keith eines Tages den Satz, der alles verändert: „Meine Mutter ist eine deutsche Spionin.“ Die beiden beschatten die vermeintliche Agentin. Und tatsächlich: Unverständliche Eintragungen in ihrem Kalender, geheimnisvolle Zettel in Zigarettenschachteln und Spaziergänge zu einem entlegenen Eisenbahntunnel zeigen, dass Keith’ Mutter etwas zu verbergen hat.

„Das Spionagespiel“ erzählt von zwei Kindern, die in die Welt der Erwachsenen eindringen und so in einem einzigen Sommer ihre Unschuld verlieren. Auch hier ist das Ende nicht „gänzlich überraschend“, doch darauf kommt es nicht an. Michael Frayn muss seinen Lesern nichts vormachen. Die Tragik seines Romans liegt nicht in unerwarteten Wendungen, sondern besteht gerade darin, dass alles so kommt, wie es kommen muss. Keith und Stephen werden erwachsen – das heißt, dass sie lernen, sich mit den eigenen Lügen und denen ihrer Mitmenschen zu arrangieren. Folgerichtig ist das „Das Spionagespiel“ in der Rückschau erzählt. Erst dadurch wird es wirklich zu einer Crime Story: Erwachsen zu werden ist ein Verbrechen, das man sich nie wieder verzeiht. KOLJA MENSING

Michael Frayn: „Das Spionagespiel“. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Hanser, München 2004, 222 Seiten, 19,90 Euro Kathy Hepinstall: „Schlaf gut, mein kleiner Prinz“. Aus dem Amerikanischen von Holger Wolandt. Droemer, München 2004, 203 Seiten, 16,90 Euro