Agitation im Papierkorb

Am Oberhausener Theater inszeniert Volker Lösch Ibsens „Volksfeind“ und beschimpft dabei zum Schluß das Publikum. Ungewollt zeigt er damit, wie schnell sich manche Stilmittel verbrauchen

VON PETER ORTMANN

Das Licht im Zuschauersaal des Theater Oberhausen ist an, das Ibsen-Stück „Der Volksfeind“ aber noch nicht vorbei: Publikum und vier Schauspieler in visueller Konfrontation. Der desillusionierte Doktor Tomas Stockmann steht nebst Familie an der Rampe und schäumt. Die Beschimpfung kurz vor Schluss kann beginnen, die Stoppuhr läuft. „Kein Ibsen, wie ihr ihn erwartet habt, ihr Kötervolk, ihr Tätervolk“ schreit Jeff Zach als ausgemachter Volksfeind in die dritte Reihe. „Grins nicht so blöd, du Stimmvieh,“ hetzt auch seine Tochter Petra (Dorothea Arnold). „Ihr seid für alles verantwortlich, geht das nicht rein in dein Scheißhirn“. Die hinteren Reihen, die vom Speichelflug nicht betroffen sind, grinsen immer noch. Es geht deshalb weiter und weiter. Fäkal von hinten und von vorn, auch Franz Müntefering wird ins Wachsfigurenkabinett gewünscht, ein aktueller Bezug muß eben sein. Nach endlos langen 15 Minuten gehen die ersten Zuschauer. Nicht weil sie es nicht mehr ertragen konnten, sondern weil es ihnen zu blöd war. Nicht allzuviele folgen, warum auch.

Das Stilmittel der Publikumsbeschimpfung hat sich bereits vor Jahrzehnten verbraucht, selbst ältere Herrschaften in Anzug und Abendkleid sahen alles nach dem starken Applaus eher historisch: „Das war wohl wie bei Peter Handke damals.“ Eigentlich schade, denn im Grunde war es eine gute Inszenierung des „Volksfeind“ in einem schlüssigen Bühnenbild. Auf sieben Tartanbahnen mit Startblöcken ließ Lösch die Schauspieler rennen. Egal ob sie nun Bürgermeister oder Pressefritzen sind. Bis zur Atemlosigkeit rauf und runter, ein sicheres Zeichen für unsere Gesellschaft. Auch der merkwürdige ideologische Urtouch der Henrik Ibsen-Komödie wurde lässig überspielt. Diese Geschichte um das verseuchte Heilwasser im staatlich anerkannten Kurbad könnte auch vor drei Monaten stattgefunden haben. Auch heute würden ökonomische Gründe die Hauptrolle beim Vertuschen spielen. Insofern hätte „Münte und seinen Politikkumpanen ins Wachsfigurenkabinett“ völlig ausgereicht. Eklats werden heute anders produziert – stiller und präzise formuliert, denn so mag es heute niemand. Jeder weiß aber: Wer schreit, hat immer Unrecht.

Nach der zwanzig minütigen Schlußgeiferei steht Doktor Stockmann nackt vorm Publikum. Ein Mann sei nur ein Mann, wenn er ganz allein stehe. Das ist ein erbärmliches Ende für einen Wahrheitskämpfer.