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Archiv-Artikel

„Die USA haben in Vietnam und Irak gelogen“, sagt Peter Davis

Sounds like Vietnam: Die US-Regierung weiß im Irak mal wieder nicht, mit wem sie es eigentlich zu tun hat

taz: Herr Davis, Sie haben sich in den Siebzigerjahren intensiv mit dem Vietnamkrieg befasst. Und Sie waren kürzlich im Irak. Gibt es Ähnlichkeiten zwischen den beiden Kriegen?

Peter Davis: Die Länder und ihre Geschichte sind höchst verschieden, aber es gibt aus US-Sicht zwei Parallelen. Erstens: Die USA wurden beide Male von ihren Regierungen mit einer Lüge in den Krieg getrieben. In Vietnam war es der fantasierte Überfall auf ein US-Schiff im Golf von Tonkin im Jahr 1964 – im Irak waren es die fantasierten Massenvernichtungswaffen von Saddam. Lyndon B. Johnson und George W. Bush haben die US-amerikanische Öffentlichkeit schlicht angelogen, um ihre Kriege zu rechtfertigen.

Zweitens: Wir haben nie begriffen, mit wem wir es in Vietnam zu tun hatten. Wir haben ihre Sprache nicht gesprochen, ihre Kultur nicht begriffen und noch nicht mal gewusst, dass sie die Chinesen hassten, von denen sie einen jahrhundertelange Feindschaft trennte. Die US-Regierung dachte damals: Ho Chi Minh und Mao sind Kommunisten – und fertig. Unser Verhältnis zum Irak ist genauso.

Wirklich? Also nichts gelernt aus Vietnam?

Nein. Wir reden über die Installierung einer Demokratie im Irak, als würde es um Wahlen in Conneticut oder New Jersey gehen. Der Irak ist, anders als Vietnam, ein in Stämme und Clans, in verschiedenste Religionen und Ethnien zersplittertes Land. Und jede nichttotalitäre Regierung wird es ungeheuer schwer haben, diese Widersprüche zu bändigen. Diese Aufgabe können, wenn überhaupt, nur die Iraker selbst vollbringen. Der Glaube, das man dies mal eben von außen macht, ist Hybris. Der Versuch der Vereinigten Staaten, im Irak eine Demokratie zu installieren, kommt mir so vor, als würden sie einem Rumänen erzählen: „Hey, warum wirst du kein Japaner? Das wäre viel besser für dich. Also tu es.“

Eine Parallele zwischen dem Vietnam- und dem Irakkrieg ist die Dominotheorie. In den Sechzigerjahren war die US-amerikanische Politik von der paranoiden Idee besessen, dass nach Vietnam auch Thailand, Indien etc. zwangsläufig kommunistisch würden. Heute ist sie von der Idee angetrieben, dass nach Irak auch Syrien, Ägypten, Iran etc. zwangsläufig demokratisch werden.

Ja, Sie haben Recht. Dies ist eine auf den Kopf gestellte Dominotheorie. Allerdings ist es nicht das Gleiche. Die Idee, Diktaturen in Demokratien zu verwandeln, ist ein schöner, lohnenswerter Traum. Es ist der Traum, dass Frauen im Nahen Osten mehr Rechte haben und nicht unterdrückt werden. Also: Wir sind beide linksliberal, gegen Bushs Politik usw. – aber wir müssen anerkennen, dass dieser Traum ein ernst zu nehmender Teil des Konzepts der Neokonservativen ist.

Einverstanden – aber?

Falsch ist nicht der Traum von der Demokratie. Falsch ist die US-Politik, die, anstatt auf Diplomatie und wirtschaftlichen Druck, auf Bomben gesetzt hat und nun das Gegenteil dieses Traumes erwirkt. Verheerenderweise werden in Irak derzeit die Rechte von Frauen mit Füßen getreten. Leute, die bloß eine Flasche Wein trinken, werden, wenn sie Pech haben, von islamistischen Extremisten getötet. Das hätte es unter Saddam nicht gegeben. Er war ein furchtbares Monster – aber ein säkulares Monster. Die neue Dominotheorie der Neokonservativen ist ein Luftschloss.

Johnson hat der Vietnamkrieg 1969 seine Präsidentschaft gekostet. Kann Bush das Gleiche passieren – wenn noch mehr US-Soldaten sterben?

Nein, das glaube ich nicht. 1968 war unser Land wegen des Krieges wirklich zerrissen. Das ist heute anders. Die US-Wähler interessieren sich für die Wirtschaft. Wir haben eine Menge Arbeitslose – nicht so viele wie ihr in Deutschland – aber genug, damit die Leute sich Sorgen machen. Der Irakkrieg wird die Wahlen wohl nicht entscheiden.

Es zirkuliert ein Foto, das John Kerry, der wohl gegen Bush antreten wird, 1969 mit Jane Fonda auf einer Anti-Vietnamkriegsdemo zeigt. Offenbar soll er als Vaterlandsverräter denunziert werden. Warum ist Vietnam, nach 30 Jahren, noch wichtig?

Weil wir verloren haben. Deswegen gibt es noch so viel Wut. Es ist ein Zorn, der tief sitzt – allerdings glaube ich nicht, dass er noch weit verbreitet ist. Diese konservierte Wut und Verletzung gibt es in manchen rechten Kreisen – aber kaum jenseits davon. Interessanterweise ist die Lage ja auch nochmal gebrochen: Die Demokraten werden, falls sie John Kerry nominieren, den Kriegshelden Kerry und nicht den Vietnamkriegsgegner ins Rennen schicken – während George W. Bush bekanntlich nicht gedient hat. Ich persönlich glaube, dass Bush ein Feigling ist. Das passt dazu, dass er ein Tyrann ist. Das gibt es ja oft zusammen.

Die Demokraten inszenieren John Kerry nun als Helden, der in Vietnam andere Soldaten rettete und mit Medaillen überhäuft wurde. Es macht den Eindruck, als wäre das wichtiger als das, was Kerry mit dem amerikanischen Gesundheitssystem vor hat. Oder?

Nein, das täuscht. Es wird, wie im Jahr 1992, um Jobs gehen. Bush hat drei Millionen neue Jobs versprochen und er hat dieses Versprechen nicht gehalten. Wenn er stürzt, dann darüber. Kerry wird, wenn er kandidiert, wohl nicht wegen seines Heldentums in Vietnam siegen – und nicht verlieren, weil er mal neben Jane Fonda saß.

Interview: Stefan Reinecke