Plötzlich andere Prioritäten

betr.: „Aussicht düster, Gelassenheit erbeten“, taz vom 24. 11. 08

Wir werden auf schlechte Zeiten und ein Jahr schlechter Nachrichten eingestimmt, so zu hören von höchster Stelle. Von sich abzeichnender Wirtschaftskrise ist die Rede, ein Begriff, der lange vermieden wurde. Sind die Loblieder auf die „neue soziale Marktwirtschaft“ schon wieder verklungen?

Nun sind Krisen noch nie vom Himmel gefallen und müssen nicht als ursachenloses Schicksal hingenommen werden. Für eine Reihe der namentlichen Verursacher und Auslöser der Krise gab es milliardenschwere Rettungsaktionen, Schirme und Kapitalspritzen, wie wir wissen. Jeder Milliardär, der mit unkalkulierbar spekulativem Risiko Verluste hinnehmen muss, der darf auf staatliche Hilfe hoffen – versteht sich; nur wegen der Arbeitsplätze. Von gut sieben Millionen Empfängern von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe lesen wir, die existenziell staatlicher Hilfe bedürfen, weil zum Leben ausreichende Löhne nicht zahlbar seien und Arbeitsplätze aus Kostengründen abzubauen sind. Zugleich dürfen wir den neuen bescheidenen Rückzugsort der Reichen der Reichsten in Dubai bestaunen.

Der Staat nimmt mehr Schulden auf, wo uns das Übel notwendigen Schuldenabbaus doch seit Jahren zu Zurückhaltung genötigt hat und die Sorge um die kommenden Generationen unser Gewissen nicht ruhen lassen sollte. Plötzlich ganz andere Prioritäten! Bei den offenen Worten der Kanzlerin beschleicht mich die leise Ahnung, dass die Ankündigungen wohl doch nicht für alle gelten, für die übergroße Mehrheit jedoch sicher. Mit welchem aus dieser Marktwirtschaft abzuleitenden Rechtsverständnis muss die breite Mehrheit der Bevölkerung ohne produktives oder Finanzkapital, das diesen Namen verdient, für die Verluste dieses Kapitals aufkommen und dessen Risiken letztlich tragen? Die Frage wird erlaubt sein müssen! ROLAND WINKLER, Remseck