Friede den Hüten, Krieg den Konzernen

Rebellenposen in Hollywood, Peace-Zeichen in den Gesichtern, Che und Mao im Regal neben Naomi Klein: Linke Attitüde ist plötzlich wieder en vogue. Ebenso aktuell ist wieder die Wehklage über die bloße Oberflächlichkeit solcher Gesten. Interessanter aber ist die Frage: Worauf verweist ihr Comeback?

Kritiker lassen offen, ob ihnen eine echte Revolte lieber wäre – oder besser gar keine

von ROBERT MISIK

Der Zorn hatte sich offenbar aufgestaut. Was der Mann schreibe, habe „etwas Verkommenes, geistig Verwahrlostes“, wütete der Zeit-Feuilletonist Jörg Lau unlängst im Merkur, und es „umweht etwas entschieden Romanhaftes diese Erscheinung“. Derart in Rage hatte den Kritiker ein Mann gebracht, der drauf und dran ist, „zu den ganz großen Stars des transatlantischen Kongreß-Jetsets“ zu werden – der slowenische Philosoph Slavoj Žižek.

Slavoj Žižek produziert auf provozierende Weise linke Theorie und hat damit auch noch Erfolg. Unlängst, dies ließ das Fass offenbar überlaufen, hat er einen schmalen Suhrkamp-Band herausgebracht: „Die Revolution steht bevor. Dreizehn Versuche über Lenin“. Darin versucht Žižek, die „leninsche Geste“ zu retten, ohne simpel von einer Rückkehr zu Lenin zu träumen. Sein Versuch geht dahin, zu akzeptieren, dass Lenin „fürchterlich gescheitert“ ist, aber dass in der „leninschen Lösung“ ein „utopischer Funke war, der es wert ist, bewahrt zu werden“, und, ja, dass noch der Stalinismus eine „innere Größe“ hatte, der den Heutigen kaum mehr begreifbar ist.

Worin der lag, wird auf 190 Seiten durchbuchstabiert (und auch nicht), Žižek switcht von dem Heroismus des Augenblicks (Lenin und die Aprilthesen) zu Versuchen über die Anatomie des Kulturkapitalismus und über den geschlossenen Raum aus Kapitalismus und liberaldemokratischer Hegemonie: „Die Wahrnehmung, dass wir in einer Gesellschaft der freien Wahlmöglichkeiten leben […], ist die Erscheinungsform ihres genauen Gegenteils, des Fehlens echter Wahlmöglichkeiten.“

Die leninsche Geste ist, so besehen, mehr eine Mentalität: auszubrechen, wenn nötig mit Gewalt, aus einem als alternativlos erlebten Ensemble, das selbst die Alternativen bereits nutzbringend und marktgängig einzusetzen vermag.

Wer mit solchen Überlegungen zur globalen Celebrity wird, provoziert Übellaunigkeit: Hier wird einer zum Helden der „Jeunesse dorée“ des „Radical Chic“ (Jörg Lau), indem er vom „guten Terror“ träumt. Von dieser Radikalität ist es nur ein Katzensprung zur Frivolität, so das strenge Verdikt.

Nun ist der Sachverhalt, egal wie man zu ihm stehen mag, erstaunlich genug. Da pflegt jemand ein Image des Linksradikalismus und wird zum Star des akademischen Jetsets. Und es ist ja nicht nur ein Phänomen zwischen Katheder und Lehrstühlen: Ein, zwei Jahrzehnte nach Wollpulli und Birkenstocksandalen ist Linkssein wieder hip. Eine Revoltengeste da, ein rebellisches Wort dort, schon ist für Aufmerksamkeit gesorgt.

Es hatte sich angekündigt, erst kaum merkbar. Da wurden Bücher wie die „Globalisierungfalle“ zu Bestsellern, dann sorgte die No-Globals-Bewegung für Erstaunen, und Antonio Negri und Michael Hardt schrieben mit „Empire“ den Theorierenner des Jahrzehnts. Mit den weltweiten Antikriegsaktivitäten zwischen Bolly- und Hollywood ist nun endgültig unübersehbar: Rebellion ist en vogue.

Das böse Wort vom Radical Chic ist schon die aufstrebende Vokabel der Saison. Geprägt in den späten Sechzigern, als die Cocktail-Society zu Black-Panther-Fundraising-Partys lud (Tom Wolfe setzte damals der Party im Hause Leonard Bernstein ein bissiges literarisches Denkmal), klingt in dem Wort an, wie sich die gelangweilte Bourgeoisie und die Sinn suchende Mittelstandsjugend ein bisschen Thrill ins Hause holen: mit Revoltengesten, die zu nichts verpflichten.

Man fühlt sich gut und riskiert wenig vom feinen Leben. „Leere Gesten“, hallt es von beiden Seiten – von „echten“ Linken und von rechts.

Wobei nicht selten schnöselig die Nase gerümpft wird, ohne dass recht klar würde, was die Kritiker lieber hätten: eine wahre, nicht bloß schicke Revolte – oder besser doch gar keine. Und noch eine Frage bleibt seltsam ungeklärt: ob denn Gesten jemals vollends leer sein können.

Anyway, die Celebrities werfen sich an die Front. Jetzt ist auch Madonna mit „American Girl“ mit von der Partie, Michael Moore hat mit angewandter Dissidenz längst globalen Kultstatus erlangt, und Public Enemy sind mit „Revolverlution“ auch wieder ganz up to date: „Son of a Bush“ ist dem Weltkriegsherrn gewidmet. Und von den Titelblättern der Hochglanzpostillen lächeln Models im Peace-T-Shirt.

Wobei die bedächtigen Kopfschüttler aus den Kulturressorts von Zeit bis New York Times nicht recht wissen, worüber sie mehr staunen sollen: dass Celebrities sich in den Rebellengesten gefallen oder dass die Rebellen selbst zu Celebrities werden. Die Büchertische zwischen Paris, Delhi und New York biegen sich unter den im Quartalsrhythmus auf den Markt geworfenen Pamphleten von Noam Chomsky, den die Süddeutsche den „ungekrönten König der Globalisierungskritiker nennt“ und dessen Altersruhm der New Yorker gerade eine Zehnseitenstory gewidmet hat. Und Naomi Klein, die nach ihrem Weltbestseller „No Logo“ schon zur global „einflussreichsten Person unter 35“ ernannt wurde, hat mit ihrer Anti-Branding- und Anti-Marken-Kampagne auf ihren Reisen von Podium zu Podium eine weltweit gut gehende Marke geschaffen, „Naomi Inc.“ als Ein-Frau-„walking talking corporation“, wie in Porträts leise spöttisch angemerkt wird. „Naomi Klein ist eine Berühmtheit“, hebt Martin Wolf, Chefkommentator der Financial Times, an, um dann zu einer von seiner Seite erstaunlichen Lobpreisung des Bolschewismus zu kommen; von dem sei bei Noami Klein „Moralismus und Passion“ geblieben, während die eigentlichen Stärken – „Intellekt und Organisationsfähigkeit“ – unterwegs verloren gegangen seien.

Nun ist die neue linke Welle wohl zunächst Symptom einer Sehnsucht nach starken politischen Alternativen, die sich auch mit Spuren eines altbekannten Vitalismus mischen kann, der Hoffnung nämlich, dass es „wieder ernst wird“ – wobei dieser Vitalismus sofort wieder unterlaufen wird. Denn wer wüsste besser als der Kapitalismuskritiker – und der Marktstratege –, dass mit jeder Sehnsucht ein Geschäft zu machen ist, weshalb also nicht auch mit dieser. Wer nur einen kurzen Blick in die Verlagsprospekte wirft, wird sich bestätigt fühlen: Selbst in den absoluten Mainstream-Häusern stapeln sich die neu erschienenen Biografien ausgewählter Revoluzzergestalten von Lenin über Mao bis zu Frantz Fanon, dem Anarchistenheroen Durutti, Subcommandante Marcos und natürlich dem ewigen Popstar unter den Umstürzlern, dem mythenumrankten Che, der praktischerweise demnächst auch seinen 75. Geburtstag feiern würde (was die Druckmaschinen gehörig in Bewegung bringt). Schon strahlt er – „Revolutionär, Traumtänzer, Kultfigur“ – auch von der Titelseite des Stern-Spezial.

Celebrities gefallen sich als Rebellen, Rebellen steigen zu Celebrities auf

Wobei die Wissenden wieder leise anmerken, der Guerillero sei doch längst entleert zur Popikone. Wie verträgt sich das aber damit, dass natürlich auch alle wissen, wofür das Chiffre Che steht – für eine gewisse Alles- oder-nichts-Haltung, für ein romantisches „Das Unmögliche ist möglich“? Mir ist, sagt Che-Biograf Paco Ignacio Taibo, „immer noch lieber, wenn einer den Che auf dem T-Shirt herumträgt als Coca-Cola“. Kate Moss tut’s beim Sport, und Naomi Campbell wurde vom Harper’s Bazar gar zum Shooting nach Kuba geschickt.

Da wird die Kiste mit den Überbleibseln einer glorreichen Vergangenheit geplündert, auch die Dissidenz zur Ware – aber es wird auch die unbewusste Erinnerung an die „gute Sache“ einer gar nicht so entfernten Vergangenheit wach gehalten, formuliert im Guardian Matt Worley, der schon zum Jahrtausendwechsel die viel beachtete Schau „Crash!“ in London koordinierte, in der er die signs des neuen Radical Chics sammelte. Bis hin zum Dernier Cri, dem völlig seinem Kontext entwundenen Baader-Meinhof-Chic.

Dieser „raf ’n’ roll“ hatte es zuletzt bis in die Hochglanzpostille Max gebracht, die unter dem Schlagwort „Prada-Meinhof“-Kult junge Models so austaffierte, wie sie sich Andreas Baader und seine RAF-Desperadokumpel vorstellte: Samthose, Sonnenbrille, schnelle Schlitten. Nur eine amüsante und doch folgerichtige Volte ist, dass Baader seinerzeit, wie eben herauskam, das RAF-Logo einem befreundeten Werbegrafiker zum Relaunch vorlegte. Heute trägt der Signifikant Baader eine Art exzentrische Botschaft: konsequent sein bis zum Äußersten, revolutionär sein, auch wenn es das Leben kostet. Baader hat sich über die Zeit zu einer „vagen Chiffre für heroische Gesten, Tod und Bedeutung“ entwickelt, wie Stefan Reinecke in der taz schrieb, eine Sign-Mixtur, die auch nicht ohne eine „Prise faschistoider Todessehnsucht“ auskommt.

Natürlich ist das, zumindest in seinen bizarrsten Ausformungen, nur mehr Unterhaltung, Zerstreuung, bestenfalls ein folgenloser Normverstoß auf extra dafür vorgesehenem Terrain. Aber auch solcher hat bisweilen einen rebellischen Überschuss. Wie andererseits auch die ernsthafteren Unternehmungen dem Fluch, Unterhaltung zu sein, nie gänzlich entkommen. Naomi Kleins Kolumnen erscheinen ebenso in Mainstream-Medien wie Slavoj Žižeks Essays, als Signal für Tiefgang, zwischen Börsenkursen und Vermischtem. Aber so ist das nun einmal.

Mäkeln kann man genug: über Bilder, die da produziert werden, die von Freiheit erzählen wollen, aber irgendwie wie Werbung aussehen; über neue millenare Träume von „Befreiung“, die in einem jargonbeschwerten Ton daherkommen; über die Verachtung allen Bürgerlichen gegenüber; über die Dandy-Maskerade. Und man kann, wie Jörg Lau das tut, angesichts nitzscheanischer Gewaltfantasien „innerlich zusammenzucken“.

Kann man, kann man. Aber man wird dann bei all der Mäkelei vielleicht vergessen, die eigentlich interessanten Fragen zu stellen: Wofür ist diese erstaunliche Wende ein Symptom? Wenn vieles von dem nur schmückende linke Gesten sind – was ist geschehen, dass man sich mit linken Gesten wieder schmücken kann?