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Archiv-Artikel

Funken statt tote Hose

Beim Geisterzug durch Ehrenfeld schert sich der Großteil der überwiegend jüngeren Teilnehmer wenig um das sperrige Zugmotto. Sie haben sich schick herausgeputzt und wollen ihren Spaß von Jürgen Schön

“Köln bleibt die Hauptstadt der Diebe“, hält ein Jeck die Titelseite eines Kölner Boulevardblatts hoch. Doch statt „Klau-Kids“ und Wohnungseinbrechern, die das Blatt vor Wochen damit gemeint hat, umtanzen den Jeck die Porträts von OB Fritz Schramma, Bankier Alfred von Oppenheim, Ex-SPD-Mitglied Rüther, Immer-noch-CDU-Mitglied Bietmann und Zeitungsverleger Alfred Neven DuMont. Beim Geisterzug an diesem kühlen Samstag Abend nutzen manche die Gelegenheit zu politischen Kommentaren.

So satirisch wie diese Gruppe sind allerdings nicht alle. Einige nutzen den Umzug auch zu einer beinahe schon konventionellen politischen Demonstration und tragen die Kölner Jugendarbeit in einem Sarg zu Grabe oder protestieren mit Transparenten gegen Sozialabbau oder Tierversuche.

Der Großteil der überwiegend jüngeren Teilnehmer jedoch schert sich wenig um das Zugmotto - „Reforme un Sozialabbau dun wieh, ävver uns zwingk keiner in de Knie“, heißt es etwas umständlich. Sie wollen ihren Spaß und den nehmen sie sich. Schließlich kostet die Teilnahme am Geisterzug nichts außer Phantasie und Zeit.

Mehr als sonst haben sich viele mit Kreativität schick gemacht, als Gespenster oder Tod mit Sense verkleidet. Oder auch als Mumie, Schamane, Pirat, Hexe, Zauberer oder Schreckgestalt aus der Fantasy-Welt. Das Kostüm von der Stange ist ebenso dabei wie die handgemachte Gruselmaske aus Pappmaché oder das Ritterkostüm aus Konservendosen. Dabei sind auch wieder die Feuer schluckenden „Toten Funken“. Neben Mönchen und Nonnen hat sich sogar Jesus unter die Narren gemischt - zum Glück ist sein Kreuz aus leichtem Schaumstoff. Und manch Kleinkind verschläft den Rummel im mitgeschobenen Kinderwagen.

Pünktlich um 19 Uhr hat sich der Zug, abgeführt vom braunen, mit dürren Zweigen geschmückten „Ähzebär“ (auch Äerzebär oder Strohbär genannt), in Bewegung gesetzt. Und genau so pünktlich begann kurz danach das traditionelle Chaos, wie es alle Teilnehmer und Zuschauer so lieben. Die Leute drängeln sich durch die engen Straßen Ehrenfelds, nehmen Abkürzungen, legen Kreuzungen lahm - Stillstand scheint bisweilen mehr Spaß zu machen als Fortschritt. Wer am Anfang an der Spitze lief, ist plötzlich mitten drin. Und wer eben noch als Zuschauer am Wegesrand stand, zockelt im Sambarhythmus ein paar hundert Meter mit, um dann wieder stehen zu bleiben und zuzuschauen.

So wächst der Zug allmählich an, wenn auch die Teilnehmerzahl nur schwer zu schätzen ist. Nach Angaben der Kölner Polizei begann der Zug mit 5.000 Geistern, am Ende bevölkerten sage und schreibe 200.000 Geister Ehrenfeld.

Ist keine Musikgruppe in der Nähe, greift das Publikum mit Rasseln, Ratschen und Trillerpfeifen zur Selbsthilfe. Letztere verkauft ein fliegender Händler für 4 Euro in der Neon leuchtenden Luxusausgabe. Die Kioske entlang des Weges machen das Geschäft des Jahres. Auch manch braver Bürger hofft auf den schnellen Euro und bietet im Hauseingang Dosenbier für 2,50 Euro, Krakauer für 1,50 Euro an.

Wer sich beeilt, braucht fast drei Stunden für die knapp zweieinhalb Kilometer lange Strecke von der Ecke Weinsberg-/Piusstraße bis zur Lichtstraße. Viele bleiben unterwegs in Ehrenfeld hängen, in einer Kneipe oder gleich gruppenweise auf der Straße. Wer bis zum Ende durchhält, findet in der Lichtstraße eine Open-Air-Bühne vor. Doch da sind die besten Plätze schon weg, die Party hat schon um 20 Uhr begonnen. Hier ist alles bis in den frühen Morgen professionell organisiert, hoffentlich zugunsten des Geisterzugs. Denn der - stets unter Geldmangel leidend - soll an den Einnahmen teilhaben.