: Brunsbüttel im Fadenkreuz
Wegen Anschlagsgefahr: Bundesamt für Strahlenschutz fordert erstmals die Abschaltung des Atomkraftwerks Brunsbüttel an der Unterelbe. Betreiber und Aufsichtsbehörden werfen sich gegenseitig schwere Versäumnisse bei Schutzmaßnahmen vor
Aus Hamburg Marco Carini
Der Uralt-Atommeiler Brunsbüttel gerät zunehmend unter Druck. Erstmals hat der Chef des dem Bundesumweltministerium direkt unterstellten Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) die vorzeitige Abschaltung des 1976 in Betrieb gegangenen Kraftwerks gefordert. Der Grund: Brunsbüttel, das noch über eine Restlaufzeit bis 2009 verfügt, ist neben vier anderen betagten Reaktoren das am schlechtesten gegen Flugzeugabstürze geschützte deutsche Atomkraftwerk.
Eine in Teilen an die Öffentlichkeit gelangte Geheim-Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) belegt, dass ein Flugzeug-Volltreffer in den Atommeiler nach dem Muster des 11. September fast zwangsläufig zu einem GAU führen würde. Die Gutachter hatten im Rahmen ihrer Sicherheitsstudie verschiedene Absturzszenarien simuliert. Für Brunsbüttel lautet das Ergebnis des rechnerischen Crash-Tests: Kein Szenario, in dem ein Jet den Reaktor trifft, ist beherrschbar. Im besten Fall wäre die „Beherrschung“ des Kraftwerksbetriebs „fraglich“, im schlechtesten Fall aber die „erhebliche Freisetzung“ von Radiaktivität so gut wie sicher. Selbst bei kleinen Passagiermaschinen, die nur mit geringer Geschwindigkeit auf das Kraftwerks-Herz treffen, wäre eine Katastrophe fast unvermeidlich.
Um das zu verhindern, forderte BfS-Präsident Wolfram König am Wochenende in der Berliner Zeitung die vorzeitige Stilllegung von Brunsbüttel und vier weiteren Alt-AKWs. Bei einer baldigen Abschaltung könnten die Stromkonzerne nach dem Atomausstiegsgesetz andere, besser geschützte Reaktoren länger laufen lassen, versucht König den Energieversorgern seinen Ausstiegsplan schmackhaft zu machen. Deshalb sei, so König, eine Abschaltung „wirtschaftlich vertretbar und rechtlich möglich“. Das aber sieht Karen Nakamura, Sprecherin der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) naturgemäß anders: „Eine vorzeitige Abschaltung von Brunsbüttel steht nicht zur Debatte.“
Obwohl das Sicherheits-Gutachten, das die Verwundbarkeit des Brunsbüttler Meilers bei Angriffen aus der Luft belegt, seit über einem Jahr in den Schubladen der Behörden und der Energieversorger schlummert, sind baldige Konsequenzen nicht zu erwarten. Statt zu handeln, versuchen alle Beteiligten ihren Mitspielern den schwarzen Peter zuzuspielen. So wirft Bundesamts-Chef König den AKW-Betreibern vor, „ihrer Verantwortung nicht in dem Maße gerecht geworden zu sein, wie es nach dem 11. September nötig gewesen wäre“. HEW-Sprecherin Nakamura hingegen betont, die Vattenfall-Tochter HEW hätte ihre Hausaufgaben gemacht: „Wir haben mit dem Bund effektive Schutz-Maßnahmen entwickelt, die aber aus Sicherheitsgründen geheim bleiben müssen.“
Das Bundesumweltministerium hingegen fordert die Länder, darunter auch Schleswig-Holstein, erneut zu einer detaillierten Sicherheitsprüfung auf. Für Horst-Dieter Fischer, Staatssekretär des Kieler Sozialministeriums, bei dem die Atomaufsicht des Landes angesiedelt ist, sind solche Apelle ein Versuch, „die Verantwortung auf die Länder abzuschieben“. Fischer plädiert dafür, „dass möglichst schnell unter der Regie des Bundes Gespräche mit der Atomindustrie geführt und gefährdete Atomkraftwerke abgeschaltet werden“. Es sei „Sache des Bundes, dies in Gang zu setzen.“
Die Betreiber aber wollen über Abschaltungen gar nicht reden und sehen allein die Bundesregierung in der Pflicht. Karen Nakamura: „Die Vermeidung von Terrorangriffen aus der Luft ist eindeutig Aufgabe des Bundes.“
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