Halten Sie bloß die Luft an!

Bei den Deutschen Meisterschaften im Apnoe-Tauchen bleiben die Besten über sieben Minuten unter Wasser. So mancher kommt zitternd hoch. Bleibende Schäden sind unwahrscheinlich. Das Gefühl? „Nicht unangenehm“, sagt Meister Ventzke

Aus den Gesichtern spricht absolute Ausgeglichenheit. Sie scheinen zu meditieren

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Männer und Frauen in Taucheranzügen schleichen um das Nichtschwimmerbecken der Schwimmhalle im Märkischen Viertel. Ein älterer Herr im Bademeisteroutfit ruft Namen auf. Einige der schwarzen Froschmenschen steigen gemessenen Schrittes ins Wasser und legen sich auf die Wasseroberfläche. Zunächst mit dem Gesicht zur Hallendecke. Sie schließen die Augen. Aus den Gesichtern spricht absolute Ausgeglichenheit. Sie scheinen zu meditieren.

Dann drehen sie sich um. Das Gesicht ist jetzt unter Wasser. Drei Minuten später heben sie den Kopf, legen sich auf den Rücken und wirken wieder wie fernöstliche Mönche bei einer Meditationsübung. Doch es sind Sportler, Apnoe-Taucher. Sie bereiten sich auf ihren Wettkampf im Zeittauchen vor.

„Apnoe“ ist ein Terminus, der früher nur in der Medizin gebraucht wurde. Er bedeutet Atemstillstand. Seit ein paar Jahren steht das Wort für eine abenteuerliche Trendsportart, die seit dem Leinwanderfolg des Taucherdramas „The Big Blue“ von Luc Besson immer mehr Menschen fasziniert: das Apnoe-Tauchen. Sauerstoffgerät und Atemmaske werden nicht benötigt. Apnoe-Taucher gehen ohne solche Hilfsmittel unter Wasser.

1988, als Bessons Film in die Kinos kam, wurden die Leistungen der Protagonisten, die sich in Tiefen von bis zu 120 Metern unter Wasser ziehen ließen, noch bestaunt. Kaum einer hielt solche Marken für möglich. Heute steht der Tiefenweltrekord bei 162 Metern. „No Limits“ heißt diese Königsdisziplin der Freediver. Dabei ist der Körper der Taucher immensen Belastungen ausgesetzt. Nicht selten kommt es zu Unfällen, die tödlich enden.

Auch das Zeittauchen im Nichtschwimmerbecken birgt gewisse Gefahren. Die Besten bleiben über sieben Minuten unter Wasser. Wer sich überschätzt, der kann schon einmal ins Zittern kommen oder gar bewusstlos werden. Bei den deutschen Meisterschaften am Samstag standen deshalb immer zwei Ärzte, ausgerüstet mit Sauerstoffgeräten, am Beckenrand. Bleibende Schäden sind allerdings unwahrscheinlich. Kurzzeitige Aussetzer des Organismus lassen sich durch rechtzeitiges Zuführen von Sauerstoff schnell beheben. Nach wenigen Minuten sind erschöpfte Taucher wieder fit.

Zudem ist im Reglement verankert, dass ein Tauchversuch nur dann gültig ist, wenn der Sportler nach dem Auftauchen einen stabilen Eindruck macht. Auch unter Wasser sollte sich ruhig verhalten, wer keine rote Karte riskieren will. Damit soll verhindert werden, dass sich Taucher überschätzen und noch ein paar Sekunden herausholen wollen, obwohl ihnen der Körper bereits signalisiert hat, dass er eigentlich nicht mehr kann. Wer also ins Zittern kommt oder beim Ausatmen ins Hecheln gerät, der wird disqualifiziert. „Samba“ heißt dieses Schüttelphänomen – ein Wort, das so gar nicht zur kontemplativen Atmosphäre im Tauchbecken passen mag.

Samba. So lautete auch das Urteil, nachdem Tom Sietas aufgetaucht war. 7:48 Minuten war er unter Wasser geblieben und hatte damit den deutschen Rekord um satte 46 Sekunden überboten. Doch die Jury zeigte ihm die rote Karte. Sietas war stinksauer, während sich sein Konkurrent, der Berliner Dominique Ventzke, freute. Auch er hatte die alte Rekordmarke überboten. Um zwei Sekunden. „Ich wollte sichergehen, dass ich nicht disqualifiziert werde, und bin einfach aufgetaucht, nachdem ich die Bestmarke übertroffen hatte.“ Kein Samba. Sein Versuch war gültig.

Sietas legte Protest ein. Er sei sich so sicher gewesen. Nach Ende der Veranstaltung musste sich die Jury noch einmal das Video mit Sietas Rekordversuch ansehen. Die Disqualifikation wurde zurückgenommen und Ventzke war seinen Rekord wieder los.

Dennoch sollte es der Tag des Berliners werden. Die deutschen Meisterschaften werden nämlich in einer Kombinationswertung aus Zeit- und Streckentauchen entschieden. Hier war Dominique Ventzke nicht zu schlagen. Mit 162 Metern tauchte er 24 Meter weiter als sein Gegenspieler und sicherte sich den Meistertitel.

„Das ist auf jeden Fall nicht unangenehm.“ Ventzke tut sich schwer, das Gefühl nach dem Auftauchen zu beschreiben: „Der Puls ist bei 120, und ich bin dennoch ganz ruhig. Das ist schon unglaublich.“ Er ist selbst immer wieder aufs Neue fasziniert von seiner Sportart.

„Titanic“-Regisseur James Cameron scheint auch mit dem Apnoe-Fieber angesteckt worden zu sein. Er plant einen Film über die Extremtaucher, der 2005 in die Kinos kommen soll. Cineasten dürfen sich auf faszinierende Unterwasseraufnahmen freuen. Denn der Streifen wird sicher nicht in einem Nichtschwimmerbecken gedreht.