: Bärlauch First Flush
Grüner geht’s nicht: In feuchten Wäldern sprießen jetzt die lanzettförmigen Blättchen mit dem Knoblauchkick. Feinschmeckende Selbermacher laufen gebückt durchs Geäst und suchen wilden Knoblauch
von SYLVIA MEISE
Messer zwischen den Zähnen, Hocker in der linken, Tüte in der rechten Hand. So sieht eine Bärlauchjägerin aus, die keine Rückenschmerzen haben will. Wen im Frühjahr das Bärlauchfieber packt, der kann kaum wieder aufhören mit Rupfen und Essen. Reinpacken, was geht, die Saison ist kurz! Schon Mitte, Ende Februar lugt manchmal das erste duftige Grün hervor, dazwischen weiße Blütensternchen der Buschwindrose. Tief den Knoblauchduft einatmen und wissen: Das ist BFT – Bärlauch First Flush –, der Winter ist endgültig vorbei!
Geerntet wird bis zur Blüte gegen Ende Mai, danach sind die Blätter nicht mehr so würzig. Die Bären sollen ganz scharf auf das Zeug gewesen sein, um ihr Gedärm nach dem Winterschlaf wieder in Gang zu bringen. Da mag was dran sein, denn wie Knoblauch enthält der wilde Verwandte verschiedene Schwefelverbindungen im ätherischen Öl. Das wirkt bakterientötend und hat entschlackende Wirkung – nicht nur für Bären. Nach altem Germanenglauben verleiht der Wildlauch Bärenkräfte. So viel zur Etymologie. Zum Aussehen: lanzettförmige Blätter, die denen von Maiglöckchen oder Herbstzeitlosen gleichen. Aber verwechseln braucht man sie nicht, man muss ja nur dran schnuppern.
Jetzt das Wichtigste: Was macht man damit in der Küche? Vor allem nicht zu stark erhitzen. Wen nach der Ernte Gier und Hunger überfällt – schnell ein Brot mit Frischkäse bestreichen, Bärlauch klein schneiden und zusammen mit Gomasio (Sesam und Salz und Pfeffer, alles gemörsert) drüberstreuen. Ergebnis: schmatz! Die Geschmacksknospen melden gepfeffertes Grün. Im Grunde passt das Bärenkraut zu jedem Essen, an das man Basilikum oder Schnittlauch geben würde. Für Gekochtes, Gebackenes, Gebratenes gilt: Klein geschnittene oder pürierte Blätter erst kurz vor dem Auftischen drunterheben oder drüberstreuen. Die Wildlauchblätter halten sich übrigens wunderbar im Wasserglas. Größere Mengen bewahren im Kühlschrank mit Wasser besprenkelt und in einer Plastiktüte verpackt (regelmäßig aufschütteln) bis zu zweieinhalb Wochen Farbe und Aroma.
Das Aroma allerdings ist Geschmackssache. Manchem wird vom Geruch übel. Eine bedauernswerte Freundin wird mit ihrem dick bestrichenen Pestoknäckebrot von ihren Kollegen ins Treppenhaus verwiesen. Zur Strafe hat sie das Pestoglas fallen lassen. Seitdem erfüllt strengstes Odeur die gemeinsame Büroluft. Ist halt nicht gerade ein süß duftender Frühlingsbote, das bärige Liliengewächs. „Knoblochsaue“ heißt passenderweise das Bärlauchgebiet am Altrheinarm „Kühkopf“ (der unter Naturschutz steht, weshalb dort Rupfen strengstens verboten ist). Und jetzt das Positive: Bärlauch dünstet im Gegensatz zum Knofi nur am Standort penetrant, nicht aber später aus den Poren des Genießers.
Fuchsbandwurm heißt der Wermutstropfen im Sammlerglück. Betroffen ist alles Erntegut, das in Fuchshöhe wächst und aus Wald, Schrebergarten oder stadtnaher Freilandkultur stammt. Also Waldbeeren und Pilze sowie Salat oder eben Bärlauch. Wer sich infiziert und erkrankt – was nach einer Infektion nicht automatisch der Fall sein muss – kann acht bis zehn Jahre später Tumore an der Leber bekommen und folglich an „Leberzirrhose“ (Säuferleber) sterben. Tatsächlich ist die Infektionsgefahr wohl eher gering. Die Internetseite des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz zitiert (www.treffpunkt-wald.de) eine Studie, die das Verhältnis zwischen der sehr seltenen Infizierung und tatsächlicher Erkrankung mit 9:1 angibt.
Die Bärlauchsammler im Forum von „www.baerlauch.net“ haben so ihre eigenen Gegenstrategien: Eva pflückt am Bach. Sie glaubt, der Fuchs hole sich nicht gern nasse Füße, und Robert holt seine Bärlauchration vom Steilhang, weil da der Fuchs „nicht gern läuft“. Wer einen Garten hat, kann selbst Bärlauch pflanzen und ist womöglich auf der sicheren Seite. Zwei Zwiebelchen kann man für stolze 4,50 Euro bei „Manufactum“ bestellen. Gut sortierte Gartenmärkte sollen ebenfalls Bärlauchzwiebeln vorrätig haben. Bärlauchnet-Webmaster Franschesko hat im Elsass einfach ein paar Knöllchen ausgegraben. Heute verfügt er über ein eigenes Bärlauchfeld in Bergisch-Gladbach.
Wer nicht wie Franschesko in Obernai im Elsass vorbeikommt, findet Bärlauch ganz einfach auf dem Markt (Frankfurter Kleinmarkthallenpreis pro Sträußchen: einsfuffzich, Berliner Ökomarkt am Chamissoplatz: ein Euro). Anstrengender und gesünder jedoch ist selber sammeln. Wer niemanden kennt, der sein Stammplätzchen preisgibt, muss erst mal suchen. Empfehlung: Zu Fuß oder per Rad im Laubwald (am besten mit Feuchtbiotop). Dann einfach Nase und Augen offen halten – von Berlin über Thüringen, Baden-Württemberg und Hessen bis Bayern gibt es die wilde Knolle überall.
„In Litauen Baerlauch wachste auch, aber selten“, schreibt Birute im Bärlauchportal-Forum, und Janos ergänzt: „Ich bin von der Rumaenien, bei uns kann man auch Baerlauch sammeln und natuerlich anwenden.“ Den rumänischen Namen für Bärlauch verrät er leider nicht. Auch die Bärlauchwebsite der Grazer Uni kennt ihn wohl nicht, dafür etliche andere europäische Bärlauchnamen. Hier nur ein paar: ramslök (Schweden), karhunlaukka (Finnland), ramson (UK), beerlook (Niederlande), aglio orsino (Italien). Bei uns wird er auch Ramsen, Hexenzwiebel oder Waldknoblauch genannt.
Noch Fragen? Ein bisschen im Forum rumzappen, da findet sich alles Mögliche, sogar Leute, die einem Bärlauchzwiebeln aus dem eigenen Garten abgeben oder Rezepte mailen. Zwar ist das Forum ein Gestrüpp, in dem man sich leicht verlieren kann, aber Franschesko, der Portaleigner, will’s bald ändern.
Ein Bärlink verweist auf das Dorado verde für Fans: Eberbach im Odenwald (www.eberbach.de). Rund um das 15.000-Seelen-Nest erstrecken sich wahre Bärlauchteppiche. Ein findiger Wirtshauskoch hatte vor vier Jahren die Idee, seitdem sind die „Eberbacher Bärlauchtage“ Ende März bis Ende April der Tourismusknaller für den kleinen Fachwerkort. Auszüge aus dem zünftigen Programm: Kutschfahrten, Kochkurse und Nachtwanderungen. Den hungrigen Waldgängern kredenzen die Eberbacher Bärlauchweiß- oder -bratwurst, Bärlauchnudeln und Bärlauchbrot. Die Touristinfo sammelt alle Rezepte, die von Fans eingeschickt werden, und fasst sie jedes Jahr zu einer neuen Broschüre zusammen, die man dort für zwei Euro ordern kann. Dieses Jahr erstmals vertreten: Bärlauch asiatisch auf Seite 7, Hühnercurry mit feuriger Currypaste – superscharf, supergut, nur von Bärlauch und Thaibasilikum schmeckt man wenig.
Den würzigsten Eindruck hinterlässt Bärlauch pur oder als Pesto (siehe Rezept unten) auf’m Brot. Für die bärlauchlose Zeit ab Juni kann man sich einen Pestovorrat anlegen, mit einer Schicht Öl drauf hält es sich recht lange. Aber dann ist die Lust darauf nicht mehr so groß. Am bärigsten ist der Heißhunger eingelauchter Fans gerade jetzt, in der Hauptwachstumsphase. Also: Messer, Hocker, Tüte gepackt, und ab in den Wald.
SYLVIA MEISE, 41, ist freie Jounalistin in Frankfurt am Main. Entwickelt derzeit Bärenkräfte und robbt täglich durch hessische Wälder