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Archiv-Artikel

Waldorfschulen im Test

Die internationale Schülervergleichsstudie „Pisa 2003“ dürfte für ebenso viel Wirbel sorgen wie ihre Vorgängerin. Beim Test mit Schwerpunkt Mathe sind anthroposophische Schulen erstmals mit dabei

Die gewonnenen Ergebnisse können neue Denkanstöße vermitteln

von TILMAN VON ROHDEN

Die Nachbeben der im Jahr 2000 erschienenen Schülervergleichsstudie „Pisa“ sind noch längst nicht überwunden, da droht schon die nächste Mahnung für die in Lethargie verharrende Schulpolitik: Wie vor drei Jahren dürfte auch „Pisa 2003“ für Wirbel sorgen.

Der neue Pisa-Test über die Kenntnisse und Fähigkeiten von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern bringt manch Neues, aber ebenso vieles, was schon die ältere Untersuchung bot. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass Deutschland im internationalen Vergleich erneut eine Klatsche erhält.

Bei „Pisa 2003“ liegt ein Schwerpunkt auf Mathematik; Naturwissenschaften und Lesekompetenz sind weitere Facetten. Neu hinzu kommen Problemlöse-Aufgaben, bei denen nichtfachbezogene Denkstrategien erforderlich sind.

Neu ist auch, dass an „Pisa 2003“ Waldorfschulen teilnehmen. Die Zufallsauswahl – im Topf waren die Namen der staatlichen Schulen inklusive aller Waldorfschulen – führte dazu, dass 15 Waldorfschulen gezogen und zum Mitmachen eingeladen wurden.

„Ich habe gegen eine Teilnahme keine prinzipiellen Einwände, solange die Abfragen allgemeiner Natur sind und nicht lehrplanbezogen“, sagt Walter Hiller, einer der Bundesgeschäftsführer beim Bund Freier Waldorfschulen, in dem sich fast alle Waldorfschulen organisiert haben. Er hält es für legitim, dass sich auch Waldorfschüler an abstrakten Leistungskriterien messen lassen. „Die gewonnenen Ergebnisse können neue Denkanstöße vermitteln.“

Angst vor Pisa müssen die Waldorfschulen schon deshalb nicht haben, weil die Ergebnisse auch im schlimmsten Fall nicht dazu taugen, Waldorfschulen als Hokuspokus oder „Dummenschule für Reiche“ abzutun. Denn die jeweiligen Pisa-Ergebnisse werden nicht für einzelne Schulen veröffentlicht, sondern nur für die Bundesländer. Die Waldorfschulen verschwinden bei der Auswertung also hinter der Masse der staatlichen Schulen.

Hiller hofft allerdings, dass die 15 teilnehmenden Waldorfschulen selbst differenzierte Ergebnisse erhalten, die ihnen einen Leistungsvergleich mit staatlichen Schulen ermöglichen.

Nach Hillers Angaben hätten die Waldorfschulen gerne schon am 2000er-Test teilgenommen, aber bei den Organisatoren sei aufgrund einiger Absagen die Meinung entstanden, die Steiner-Anhänger seien aus „administrativen Gründen“ nicht zu einer Teilnahme bereit gewesen. „Damals waren wir sehr überrascht, denn dieser Eindruck war völlig falsch und ist mittlerweile in Gesprächen korrigiert worden“, erklärt Hiller.

Korrigiert werden müsse auch das Vorurteil, dass das Unterrichtsfach Mathematik in Waldorfschulen nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spiele. Die dort angewandten Methoden würden von Fachleuten sehr gelobt, sagt Hiller.

Die Methoden, die auf Sinnlichkeit, Körperlichkeit und Konkretheit ausgerichtet seien, würden sich insbesondere eignen, um der weit verbreiteten Rechenschwäche bei Schülern angemessen zu begegnen, was von konventionellen Schulen oft vernachlässigt werde. Aus diesen Gründen sehe er den Tests „gelassen“ entgegen.

Ein Problem könnte sich laut Hiller für die Schüler – und somit auch für die Waldorfschulen – im naturwissenschaftlichen Teil von Pisa 2003 ergeben, denn bei Waldorfs werde „nach einem anderen Fahrplan“ gearbeitet als an staatlichen Schulen.

In anthroposophischen Schulen würde die Bedeutung von Wissenschaftskritik stärker in den Unterricht integriert, außerdem legten die Lehrer Wert darauf, dass die Schüler einen eigenen Zugang zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen entwickeln und entsprechende Experimente durchführen.

„Diese Aktivitäten kosten viel Zeit, so dass unser komplizierterer Ansatz möglicherweise dazu führt, dass der Lernprozess unserer 15-Jährigen zeitverzögert verläuft. Dies könnte sich auch in den Tests widerspiegeln.“

Überlegen könnten sich Waldorfschulen in anderen Testbereichen zeigen, denn der nationale Ergänzungsteil zu Pisa 2003 setzt auch auf Eltern- und Lehrerbefragungen, um ein Bild der sozialen Lernwelten der Schüler zu bekommen.

„Diese Ergebnisse interessieren insbesondere Bildungspolitiker, die an vielen Stellen leider nicht handlungsfähig sind“, sagt der nationale Leiter der Studie, Manfred Prenzel, Mitarbeiter am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität Kiel.

Prenzel hält insbesondere die Rolle der Eltern im Lernprozess ihrer Kinder für ein harte Nuss in der Bildungspolitik, denn Eltern seien im Gegensatz zu Schulen, Lehrkräften und Lehrplänen nicht über eine Professionalisierung zu kontrollieren. Probleme seien insbesondere bei Eltern mit geringen materiellen und kulturellen Ressourcen zu erwarten. In der Bildungspolitik könne längst nicht alles über Gesetze geregelt werden, die missliche Situation der gesetzlich geregelten Elternbeteiligung sei ein gutes Beispiel dafür.

Solche Sätze versteht Hiller als ein verstecktes Plädoyer für die Waldorfschule, denn diese wäre „ohne das Engagement der Eltern weder denkbar noch lebensfähig“.