piwik no script img

Archiv-Artikel

Die echte Gefahr lauert im Schlick

Nach dem Lipobay-Skandal droht der Bayer AG schon der nächste Rechtsstreit: Norwegens Hauptstadt fordert den Chemiekonzern zu Schadenersatz auf. Das Hormongift PCB, das den Hafenschlick schwer verseucht, stamme von Bayer

aus Oslo REINHARD WOLFF

Alte PCB-Sünden könnten demnächst auf die Bayer AG zurückschlagen. Die Stadt Oslo bereitet eine Schadenersatzklage gegen den Leverkusener Chemiekonzern sowie seine belgischen und japanischen Konkurrenten Solutia und Kanegafuchi Chemicals vor. Wie weite Teile des Oslo-Fjords und andere Küstenstriche Norwegens ist das Hafenbecken der norwegischen Hauptstadt stark mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet. PCB kann Krebs erregen, die Immunabwehr herabsetzen, das Nervensystem schädigen und die Fruchtbarkeit stören.

Das PCB im Osloer Hafenbecken ist zum Teil eine Hinterlassenschaft der eigenen Industrie, zum Teil haben Meeresströmungen PCB-haltigen Schlick abgelagert. Mit neuen Analysemethoden ist es aber gelungen, spezifische PCB-Verunreinigungen konkret auf Verursacher – und auf den Hersteller – zurückzuführen. Auf diese Weise konnte nachgewiesen werden, dass erhebliche Teile der PCB-Verseuchung von Schiffsfarben stammen, in denen von Bayer produziertes PCB verwendet worden war.

780.000 Kubikmeter gifthaltiger Schlamm liegen nach einer Schätzung der norwegischen Naturschutzbehörde im Hafengebiet von Oslo. Die meterdicke Giftmixtur enthält neben PCB Quecksilber, Kadmium und Blei. PCB gilt als besonders gefährlich, weil es von Meerestieren aufgenommen wird und über die Nahrungskette wieder im menschlichen Körper landet. In Norwegen gilt PCB als eines der vordringlichsten Umweltprobleme.

Produziert wurde PCB seit den 20er-Jahren, Ende der 60er-Jahre wurden die schädlichen Folgen immer deutlicher. 1972 verbot Schweden als erstes Land Produktion wie Import. Norwegen zog 1980 nach. PCB-haltige Schiffsfarben waren jedoch nicht verboten – zum Teil sind noch jetzt Schiffe mit diesen Anstrichen unterwegs. Deswegen lehnt der japanische Konzern Kanegafuchi Chemicals alle norwegischen Schadenersatzansprüche ab. Bayer hat immerhin eine „Prüfung“ versprochen, Solutia sich bislang nicht geäußert.

In Oslo ist man der Auffassung, dass es nicht auf einen Verstoß gegen geltendes Recht ankommt. Das norwegische Schadenersatzrecht räumt der Produzentenhaftung eine starke Stellung ein. Das will die Stadt Oslo nutzen und fordert, dass die Chemiefirmen nun die Hälfte der Schlicksanierung übernehmen – die Eigentümer der betreffenden Schiffe dürften kaum nachträglich nachzuweisen, geschweige denn verantwortlich zu machen sein.

Wie viel Geld das tatsächlich bedeutet, ist noch unklar. Eine grundlegende Sanierung auch nur des Osloer Fjordgebiets könnte mehrere Milliarden Euro kosten. Zurzeit wird in Etappen saniert, und vermutlich wird die Stadt den Rechtsweg anhand einer Forderung für solch eine Teilsanierung – konkret 10 bis 20 Millionen Euro – „testen“. Sollte der Versuch erfolgreich sein, könnte dies allerdings eine Lawine von Folgeprozessen lostreten. Und das vermutlich nicht nur in Norwegen.