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Archiv-Artikel

Sozialexperten meutern gegen Rürup

Weil ihr Chef zu selbstherrlich agiert, liebäugeln Kommissionsmitglieder schon mit einem „Antrag auf Selbstauflösung“

BERLIN taz ■ Die Stimmung ist nicht gut in der Rürup-Kommission. Am 8. Mai tagt das Gremium wieder, und Mitglied Barbara Stolterfoht würde sich nicht wundern, „wenn dort der Antrag auf Selbstauflösung gestellt wird“. Die Kommission sei „ein Flop“ und eine „vordemokratische Veranstaltung“. So war die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes extra vom Bodensee nach Berlin angereist, um dann in der Zeitung zu lesen, dass die gestrige Sitzung der „Arbeitsgruppe Krankenversicherung“ vom Vorsitzenden Bert Rürup einfach abgesagt wurde.

Anfangs dachte Stolterfoht noch, dass Rürup vielleicht nur „professoral unfähig“ sei, eine 26-köpfige und entsprechend komplexe Kommission zu leiten. Aber inzwischen ist sich die ehemalige SPD-Sozialministerin Hessens sicher, dass der Kommissionschef zu oft mit dem Kanzleramt telefoniert. „Es ist unglaublich, was sich Rürup von der Bundesregierung gefallen lässt.“ Jüngstes Beispiel: Weil Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eine neue Rentenformel noch vor dem SPD-Sonderparteitag brauchte, wurde sie eben am Donnerstag geliefert. Obwohl das Plenum der Rürup-Kommission darüber noch gar nicht befunden hat, sondern nur die „Arbeitsgruppe Rente“.

Auch Kommissionskollegin Edda Müller ist zutiefst unzufrieden. Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen kritisiert, dass es „nie eine klare inhaltliche Arbeitsplanung gab“. So wurden die Mitglieder der „Arbeitsgruppe Krankenversicherung“ immer wieder durch Tischvorlagen überrascht, und oft wurde „bewusst offen gelassen, was als nächstes auf die Tagesordnung kommt“. Ihr Verdacht: „Diskussionen waren nicht erwünscht.“

Noch wollen Stolterfoht und Müller allerdings nicht resignieren. Sie präsentierten der Kommission einen Reformvorschlag für die Krankenkassen, den sie gemeinsam mit IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel und Niedersachsens Ex-Sozialministerin Gitta Trauernicht ausgearbeitet haben. Um die Beiträge um zwei Prozentpunkte zu senken, schlagen sie unter anderem vor, die Tabak- und Alkoholsteuer um 70 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig wollen sie die Mehrwertsteuer für Arzneien auf 7 Prozent senken und Gutverdiener in die gesetzlichen Krankenkassen zwingen.

Aber große Hoffnung haben sie nicht, mit ihren Vorschlägen durchzudringen. Müllers Gesamturteil über die Rürup-Kommission: „reine Beschäftigungstherapie“. ULRIKE HERRMANN