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Archiv-Artikel

In den Knast für Adorno?

Jan Philipp Reemtsma besitzt die Urheberrechte an zwei Adorno-Schriften. Ein Student hat sie im Internet veröffentlicht – und Post von Reemtsmas Anwälten bekommen. Souverän ist das nicht

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Sebastian Lütgert meint schon, dass es sich immer noch lohnt, Adorno zu lesen. Aber in den Knast gehen möchte er dafür denn doch nicht. Immerhin ist Teddy schon ziemlich lange tot, und, nun ja, reden wir nicht über den Jazz.

Lütgert jedenfalls hat keine Lust, den Helden irgendeiner Idee zu spielen, er wohnt in Berlin und manchmal in New York, wo er Freunde hat. So könnte sein Leben gar nicht nur schlecht sein in all dem Falschen, das natürlich trotzdem niemals zu übersehen und ständig zu kritisieren ist, weswegen ein wenig Adorno nie schaden kann. Meint Lütgert.

Aber er irrt sich. Er muss vielleicht doch in den Knast. Nach Plötzensee, weil er kein Geld hat, die teuersten Anwälte von Hamburg zu bezahlen. Denn auch Jan Philipp Reemtsma, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, meint, dass sich Adorno lohnt. Nicht sicher ist, ob er meint, es lohne sich, ihn zu lesen, ganz sicher aber meint er, dass es sich lohnt, ihn zu besitzen.

Reemtsma besitzt zwei Texte des Philosophen, nämlich die Aufsätze „Jargon der Eigentlichkeit“ (lesenswerte Polemik gegen Heideggerianer) und „Anti-Semitism and Fascist Propaganda“ (Pflichtlektüre für CDU-Mitglieder, bevor sie Holocaust-Gedenkreden halten). Reemtsma besitzt sie im Sinne des Urheberrechts. Niemand darf sie veröffentlichen, wenn er es nicht erlaubt.

Nun betreibt Sebastian Lütgert einen Webserver, auf dem hunderte von Texten gespeichert sind, damit man sie im Internet lesen kann. Man kann sie auch kopieren. Besitzen kann man sie nicht.

Es sind Texte von Denkern und Literaten aller Art, auch eher von unbekannten Autoren. Durchweg von hohem intellektuellen Anspruch, all das eben, was der Mensch so braucht zum Denken. Lütgert ist für diese Website schon oft gelobt worden. Sie ist eine der wenigen, die tatsächlich das leistet, was vom Internet immer nur behauptet wird: Sie erschließt Wissen, macht es zugänglich, nützlich. Jan Philipp Reemtsma braucht keine solche Website. Er kann sich das Wissen kaufen.

Trotzdem hat er sie entdeckt und festgestellt, dass dort auch seine beiden Adornos zu haben waren. Eigentlich nur zu lesen, aber das ist für ihn eins. Seine Anwaltskanzlei Senfft, Kersten, Voss-Andrea & Schwenn haben umgehend einen Brief an die Berliner Postadresse von Sebastian Lütgert geschickt. Der war aber gerade in New York, und so verstrich die Frist von fünf Tagen, die sie ihm gesetzt hatten, ohne dass er auch nur ahnte, dass Reemtsma ihm seine Adornos verbot.

Lütgert mag sich nicht auf dem Niveau von Reemtsma und Senfft über Rechtsfragen streiten. Er nahm die beiden Texte vom Server, sobald er den Brief gelesen hatte. Nur war inzwischen die Rechnung für das in Abwesenheit des Beschuldigten eröffnete förmliche Gerichtsverfahren mit Ordnungsstrafen und Anwaltsgebühren aufgelaufen: 3.021 Euro.

Eine Unsumme für Adorno in jedem Sinn. Denn so viel hat Lütgert einfach nicht, für Reemtsma wiederum ist das so gut wie nichts. Die Rechnung blieb offen, die Anwälte bestellten den Gerichtsvollzieher, um notfalls die Ersatzhaft zu erzwingen. Lütgert wusste sich nicht mehr zu helfen und bat schließlich Reemtsma persönlich um Hilfe. Der Streit war ja nie aus bösem Willen entstanden, also möge man ihm doch in Adornos Namen die Gerichtsschulden erlassen. Ein Stipendium in derselben Höhe wäre jedenfalls der Sache dienlicher als ein Aufenthalt im Gefängnis, schrieb Lütgert freundlich, wenn auch nicht ohne Ironie: „Welche Gegenleistungen ich zu erbringen hätte, würde ich gerne mit Ihnen besprechen.“

Würde Reemtsma Adorno lesen und nicht nur besitzen, hätte er einen erfreulichen Fall von Systemresistenz erkennen müssen. Ein autoritärer Charakter ist Lütgert zweifellos nicht, und Reemtsma hätte ihn allein deswegen schon mindestens zum Kaffee einladen müssen. Um wenigstens über Adorno zu reden. Oder über das Internet und den E-Mail-Verkehr, der in der Kanzlei Senfft nicht bekannt ist. Denn eine E-Mail hätte ihn immer erreicht, auch in New York, sagt Lütgert. Er hat in etlichen anderen Fällen Abmahnungen von Verlagen sofort Folge geleistet. Nur waren die per E-Mail gekommen, über das Internet, in dem auch der angebliche Rechtsverstoß stattfand.

Aber Reemtsma schreibt keine Mails und liest keinen Adorno. Er besitzt nur Papiere. Von Walter Benjamin zum Beispiel. Dafür will er in Berlin demnächst ein Museum eröffnen. Damit man sieht, was er hat. Lesen? Online? Niemals. Lütgert bekam keine Antwort von Reemtsma, sondern noch einen Brief von Senfft und Partner, der ihm eine Gnadenfrist bis zum 23. Februar setzt. Wenn er dann nicht zahlt, muss er in den Knast.

Für Adorno und dafür, dass Jan Philipp Reemtsma, der große Förderer des kritischen Denkens und stets zur Stelle, wenn es darum geht, die Gegenwart von bösen Schatten der deutschen Vergangenheit zu reinigen, zwei seiner Texte besitzt. Für sich selbst hofft Lütgert noch, dass ihm Freunde das Geld irgendwie besorgen können. Seine Website ist weiterhin unter www.textz.org zu erreichen.