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Archiv-Artikel

Attraktiv wie nie

Atomwaffen, fürchten Experten, werden durch den Irakkrieg nur noch begehrter

von ERIC CHAUVISTRÉ

Der erste Entwaffnungskrieg ist geführt. Er sollte auch ein Signal an andere potenzielle Gegner der USA sein. Wer sich Chemie- und Biowaffen oder gar die Atombombe beschaffen will, so die im vergangenen Jahr verkündete Bush-Doktrin, muss damit rechnen, zum Ziel eines Präventivkrieges zu werden. Insbesondere die Herrschenden in Pjöngjang und Teheran, so das Kalkül im Weißen Haus und im Pentagon, sollten mit der militärischen Machtdemonstration im Irak zur Aufgabe ihre Rüstungspläne bewogen werden.

„Der Irakkrieg könnte in der Tat einigen Ländern zeigen, dass Chemie- und Biowaffen nicht nützlich sind“, meint Gary Samore, unter Präsident Bill Clinton Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, im Gespräch mit der taz. Da die Waffen in dem Krieg keine Rolle spielten und die US-Regierung sich auch von den angeblich vorhandenen Arsenalen nicht von einer Invasion abschrecken ließ, könnten sie an Attraktivität verlieren. Doch hier endet die positive Bilanz Samores, einem der maßgeblichen Architekten der Nichtverbreitungspolitik unter Clinton. Denn die Erfahrung des Irak erinnere auch daran, so Samore, dass „Atomwaffen die wahren Massenvernichtungswaffen sind“.

Auch andere Rüstungskontrollexperten fürchten, dass der Irakkrieg die Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen – der so genannten nuklearen Proliferation – hat wachsen lassen. „Atomwaffen sind noch attraktiver geworden“, ist Uta Zapf (SPD) überzeugt. Sie ist Vorsitzende des Bundestags-Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. „Einige Länder, die die Möglichkeit dazu haben“, so Zapf, „werden jetzt noch einmal über eine nukleare Option nachdenken.“ Die im Irakkrieg erneut demonstrierte absolute Überlegenheit der US-Streitkräfte, warnt auch Dan Plesch vom Royal United Services Institute in London, wird für potenzielle Gegner der USA ein großer Anreiz sein, sich solche Waffen zu beschaffen: Atomwaffen würden zunehmend als Gleichmacher für ansonsten militärisch unterlegene Streitkräfte angesehen.

Vor allem der Iran werde sich nun darin bestärkt fühlen, vermutet Harald Müller, Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, „sich möglichst rasch mit Nuklearprogrammen alle Optionen zu verschaffen, ohne zwangsläufig den Rubikon zu überschreiten“. Nicht nur bei den Hardlinern, auch bei der gemäßigten Fraktion in Teheran gebe es die Tendenz, dass man sich „eine stärkere Abschreckung verschafft, als sie dem Irak zur Verfügung stand“. Auch die Furcht Pjöngjangs vor den USA dürfte nach Auffassung Müllers seit dem Irakkrieg viel zu groß sein, um das Atomwaffenprogramm aufzugeben – solange die USA keine Nichtangriffsgarantie geben.

Eindeutige Belege für die Vermutung, dass die im Irak praktizierte Bush-Doktrin der präventiven Entwaffnungskriege eher neue Anreize für die Atomwaffen schafft, gibt es nicht. Die Bush-Administration kann darauf verweisen, dass die Programme Nordkoreas und Irans sehr viel älter sind als die Bush-Doktrin oder gar der jüngste Irakkrieg. An der technologisch Basis arbeiten beide Länder tatsächlich schon seit Jahrzehnten. Dennoch: Nordkorea drohte erstmals 1993 aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag auszusteigen – zwei Jahre nachdem die USA im Irak ihre militärtechnologische Überlegenheit deutlich wie nie demonstriert hatten. Erneut kündigte Pjöngjang seine Mitgliedschafft in dem Abkommen dann kurz vor dem jüngsten Irakkrieg auf und ist mit Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist nun nicht mehr an die Verpflichtung zur Atomwaffenfreiheit und zu internationalen Inspektionen gebunden. Es könnte Atomwaffen ganz legal produzieren und stationieren – so wie dies die Nichtvertragsstaaten Israel, Indien und Pakistan getan haben.

Iran fährt bislang noch einen ambivalenten Kurs, ist weiterhin Mitglied des Vertrages und macht keine Andeutungen, seine Mitgliedschaft zu beenden. Aber seit Präsident Bush den Iran zu der „Achse des Bösen“ zählt, macht die Führung in Teheran durch die forcierte Arbeit an einer Urananreicherungsanlage deutlich, dass es fähig ist, eine Atomwaffenkapazität zu entwickeln. Solange diese Anlage von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) inspiziert wird, verstößt Iran nicht gegen den Vertrag. Sollte sich aber in Teheran die Fraktion der Befürworter einer Atomrüstung durchsetzen, wäre der Weg zur Bombe erheblich verkürzt.

Die Ambivalenz hat System: Denn potenzielle Gegner der USA, die sich Atomwaffen beschaffen wollen, riskieren mit solchen Programmen zunächst, erst recht zum Ziel eines Angriffs zu werden. Gelingt es ihnen aber, die Schwelle zum Atomwaffenbesitz zu überschreiten, bevor die US-Regierung sich zum Angriff entschließt, können sie darauf hoffen, die weit überlegenen USA von einer Intervention abzuhalten. Eine Überlegung, die übrigens auch das Weiße Haus als einen Grund für die Verbreitung von Atomwaffen anerkennt. „Schurkenstaaten“, analysierten die Autoren der von Präsident Bush im vergangene September unterzeichneten Militärdoktrin, „betrachten diese Waffen als ihr bestes Mittel, die konventionelle Überlegenheit der Vereingten Staaten zu überwinden.“