: Wiederkäuende Energieriesen
Im Süden Niedersachsens reift ein Projekt heran, das in seiner Form einmalig ist in Deutschland. Das Dörfchen Jühnde will schon bald Strom und Wärme ausschließlich aus erneuerbaren Energieträgern produzieren
aus Jühnde Holger Schleper
Mit dem öffentlichen Personennahverkehr nach Jühnde zu gelangen, gleicht einer kleinen Odyssee. Vereinsamte Bushaltestellen lassen den seltenen Fahrgast erleichtert durchatmen, wenn sich endlich doch ein Bus nähert, der als Ziel tatsächlich die 770-Seelen-Gemeinde im Landkreis Göttingen kennt. Besuch ist selten in diesem Fachwerkdorf im Naturpark Münden. Ein Zustand, der sich schon bald ändern könnte, denn in Jühnde soll ein deutschlandweit einmaliges Projekt realisiert werden, ein Bioenergiedorf.
Damit haben die Jühnder Konsequenzen gezogen aus dem, was 1992 auf der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro verkündet wurde. Dort hieß es, dass weltweit ein erheblicher Teil der Energie in einer Weise erzeugt und verbraucht werde, die langfristig nicht tragfähig sein könne. Für Deutschland gilt, dass die Energieversorgung zu 87 Prozent auf klimaschädlichen, fossilen Energieträgern basiert, zu zehn Prozent auf risikoreicher Atomenergie und nur zu drei Prozent auf erneuerbaren Energieträgern. In der südniedersächsischen Provinz will man nun zeigen, dass letzteres Zukunft hat und sogar ein ganzes Dorf Ressourcen schonend versorgt werden kann.
Ein ehemaliges Jagdzimmer in einem verwaisten Bauernhof im Dorfkern dient als Zentrale des ehrgeizigen Projekts. Inmitten der rustikalen Einrichtung mit Deckenbalken aus Eichenholz und einem großen, offenen Kamin finden sich farbige, an die Wand geheftete Graphiken, die eine hochmoderne Biogasanlage zeigen. Auf einem Schreibtisch ragen aus einem Stifthalter zwei kleine Fähnchen mit dem Emblem der Europäischen Union, die sich mit ihrem Programm Leader+ finanziell an der Förderung des Projekts beteiligt.
Bis jetzt sind es schon 130 der 200 in Frage kommenden Jühnder Haushalte, die sich vorvertraglich verpflichtet haben, die neue Wärme abzunehmen. Aktive Mitarbeit wird auch von den Landwirten im Dorf verlangt. 200 Hektar Land müssen diese für die nachwachsenden Rohstoffe bereitstellen. Dafür winkt eine gesicherte Einnahmequelle. Eine von den Jühndern selbst für die Projektplanung gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) soll später in eine Betreibergesellschaft umgewandelt werden, die für die Rohstoffe entsprechend ihrem Energiewert zahlt.
Initiiert wurde das Projekt vom Interdisziplinären Zentrum für nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Universität Göttingen, in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel-Witzenhausen, bereits im Frühjahr 2001. Ausgangspunkt der Projektidee ist die Nutzung von Biomasse wie Stroh, Holz, Gülle und Energiepflanzen. Diese Biomasse bietet den Vorteil, dass sie Sonnenenergie in gespeicherter Form lagerfähig macht. Durch Vergärung wird aus den natürlichen Energieträgern Biogas gewonnen, das in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) verbrannt wird. Im BHKW befinden sich dann Motor und Generator zur Stromerzeugung. Die beim Verbrennungsprozess anfallende Wärme ist auch für die Beheizung der Jühnder Haushalte nutzbar. Durch ein unterirdisches Wärmenetz, angeschlossen an eine Dorfzentralheizung, soll die Wärme in Form von heißem Wasser weitergegeben werden.
„Man fragt sich immer, wo der Haken bei diesem Projekt sein könnte?“, stellt Eckhard Fangmeier, Geschäftsführer der GbR, fest. „Aber es gibt einfach keinen.“ Und dennoch will der 45-Jährige eine „Knisterstimmung im Ort“ ausgemacht haben. Immerhin läuft das Projekt schon seit über zwei Jahren und es sind bereits 1,1 Millionen Euro an Mitteln geflossen. Hauptgeldgeber ist dabei die Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR), ein Projektträger des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL). Aber auch viele Jühnder selbst haben in die Anlage investiert. Eine Grundsteinlegung lässt hingegen noch auf sich warten. „Es wäre schön, wenn sich das Landwirtschaftsministerium in seinem Bekenntnis zu diesem Projekt weiter aus dem Fenster lehnen würde“, mahnt Fangmeier, der das Gesamtvolumen des Bioenergiedorfes auf 5,1 Millionen Euro beziffert. Auch Bürgermeister August Brandenburg hofft auf baldige Förderzusagen: „Es wäre Wahnsinn, nachdem so viele Gelder geflossen sind, jetzt April, April zu sagen.“ Im Sommer, so hoffen sie in Südniedersachsen, soll endlich mit dem Bau der Biogasanlage begonnen werden. „Unser Bioenergiedorf könnte dann einen Modellcharakter für weitere derartige Projekte haben“, hofft Eckhard Fangmeier.
Mehr Informationen: www.bioenergiedorf.de