: Prostitution ist ein politisches Produkt
Die Bremer Historikerin Romina Schmitter blättert einen informativen Streifzug durch die Geschichte der Prostitution auf – findet aber nur ansatzweise in die Gegenwart zurück, weil sie die Frage nach den Ursachen nur streift und eine beklagte „Doppelmoral“ nicht als Interessenlage erkennt
„Dirnen in der Stadt gleichen Abwasserrinnen im Palast“, sagte der Heilige Augustinus. „Nimmst du sie heraus, so stinkt das ganze Schloss.“ In „Prostitution - Das älteste Gewerbe der Welt?“ möchte die Bremer Autorin Romina Schmitter der gesellschaftlichen Bedeutung auf den Grund gehen. Sie fragt auf 109 Seiten nicht viel nach den Ursachen der Prostitution, dafür aber umso mehr nach ihrer Funktion in sozialen Zusammenhängen.
Als „ältestes Gewerbe der Welt“ wird die Prostitution zwar landauf, landab bezeichnet, doch Schmitter weist zu Recht darauf hin, dass Gewerbe-Bestimmungen hier nur sehr beschränkt gelten. Professionelle Huren sind in den allerwenigsten Fällen selbstbestimmte Unternehmerinnen. Frauen, die anschaffen gehen, üben seit jeher einen Beruf aus, der sie sozial deklassiert. Moralische Vorwürfe spielen heute zwar nur noch eine Nebenrolle, so Schmitter. Deren gesellschaftlicher Effekt indes ist geblieben: Prostituierte sind Verstoßene; ihre ökonomische Rolle wird verkannt.
Anders jedoch ihre gesellschaftlichen Funktionen, die allenfalls von Dummköpfen in Frage gestellt worden sind. Dummköpfe, zu denen die Bremer Politiker nicht zählen wollten: 1878 eröffneten sie mit der Helenenstraße die erste deutsche Bordellmeile.
Hintergrund, erfahren wir, waren die größeren Möglichkeiten der Reglementierung, die Abwehr von Geschlechtskrankheiten durch mehr Kontrolle und selbstverständlich die obligaten und sehr hohen Mietpreise.
Zwar hat die Abschaffung der Prostitution schon lange FürsprecherInnen gefunden, selten jedoch wurden entsprechende gesellschaftliche Modelle mitentworfen. Die heutigen emanzipatorischen Tendenzen richten sich auf die Verbesserung des rechtlichen Status. Einen ersten Schritt hierzu stellt das rot-grüne Gesetz aus dem Jahr 2002 dar, das die Ausübung von Prostitution erstmals als Beruf anerkennt und entsprechende rechtliche Garantien einräumt. Die sozialen Beweggründe, auf den Strich zu gehen, sind damit jedoch noch lange nicht angetastet, und wer seinen Körper in Deutschland anbietet, ohne Staatsangehörige zu sein, ist unzähligen Gefahren ausgesetzt. Als Beispiel sei nur der Straßenstrich der Bremer Humboldtstraße genannt: Die Frauen hier halten sich oft illegal im Land auf, scheuen daher jeden Kontakt mit Ämtern oder Polizei und werden nicht selten Opfer von gewalttätigen Übergriffen. Trotzdem droht vielen von ihnen im Fall ihrer Festnahme die Abschiebung. Schmitter versäumt es leider, diese konkreten Lebensverhältnisse auf die Ausrichtung deutscher Migrations- und – in anderen Fällen – Drogenpolitik zu beziehen.
Die Geschichte der Prostitutierten ist auch eine ihrer Freier, deren Spielraum nur langsam gesetzlich eingegrenzt wird. Da die Freier aber meistens Männer sind und aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, werden sie nicht auf die gleiche Weise gebrandmarkt wie die Prostituierten.
Diese sind immer eindeutig identifiziert, während der Freier in der anonymen Masse verschwindet. Dass es anders geht, beweist das Prostitutionsverbot in Schweden, hier haben nur Freier mit Strafen zu rechnen. Warum das fast nirgends sonst der Fall ist, wo die Gründe für die „Stigmatisierung“ von Prostituierten liegen, warum „Sexualität pervertiert, vermarktet und als solche mit der Frau identifiziert wird“, lässt sich besser bei Georges Bataille oder Klaus Theweleit nachlesen.
Auch würde noch mehr Beachtung verdienen, welche Rolle unsere Produktionsverhältnisse für die Ware Sex spielen: Eine Analyse ihrer Bedingungen ist Schmitters Buch nicht – dafür aber allemal ein informativer Streifzug durch die Geschichte der Prostitution.
Robert Best
Romina Schmitter: Prostitution - Das älteste Gewerbe der Welt? Schardt Verlag Oldenburg, 109 Seiten, 10 Euro