: Schlussstrich unter die Versorgung
Senator Ehrhart Körting (SPD) will die Renten für die Opfer des Nationalsozialismus auslaufen lassen. Ab 2005 keine Neuanträge mehr von verfolgten Juden, Sinti und Roma, Kommunisten und Widerständlern. Kritik an Schlussstrichmentalität
von HEIKE KLEFFNER
Im Windschatten der Haushaltsberatungen plant die SPD-geführte Innenverwaltung einen Schlussstrich unter die Rentenversorgung der Opfer des Nationalsozialismus zu ziehen. Der Gesetzentwurf, der am vergangen Donnerstag zur Beratung in den Innen- und Haushaltsausschuss verwiesen wurde, sieht vor, dass neue Anträge nach dem Berliner „Gesetz für die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus“ (PrVG) nur noch bis zum 31. Dezember 2004 gestellt werden können. Das Gesetz gilt seit den 50er-Jahren.
Die beabsichtige Änderung sorgte bei den Opferverbänden bereits für Kritik. In der PDS-Fraktion wird kleinlaut darauf verwiesen, dass die geplante Änderung vom Koalitionspartner nicht abgesprochen wurde.
Die Intention der Innenverwaltung offenbare eine „kalte Schlussstrichmentalität“, kritisiert Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Sinti und Roma. So heißt es im Entwurf der Gesetzesänderung: Nach der geltenden Gesetzeslage sei eine Antragstellung teilweise ohne zeitliche Begrenzung möglich, „obwohl die zur Antragstellung berechtigenden Sachverhalte bereits lange abgeschlossen sind“. Dem Land Berlin fehle daher „Planungssicherheit“ hinsichtlich der zu erwartenden finanziellen Ansprüche. „Verlässlichere Planungsdaten“ will der Senat nun über die Schlussfrist erhalten.
Dabei handele es sich um „keine unzumutbare Härte“, wenn mehr als 58 Jahre nach Kriegsende dem „betroffenen Personenkreis Gelegenheit zur abschließenden Entscheidung über eine Antragstellung gegeben werde“, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Nach Auskunft des Jüdischen Kulturvereins gilt das PrVG seit den frühen 50er-Jahren.
Derzeit liegt die höchstmögliche Rente nach dem PrVG für Alleinstehende bei etwa 950 Euro monatlich, für Verheiratete bei 1.100 Euro. Sämtliche weiteren Entschädigungsleistungen beispielsweise nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) werden ebenso auf diese Rente angerechnet. Das betrifft insbesondere Wohngeld oder Betriebsrenten, für die lediglich ein geringer Freibetrag von rund 200 Euro für Alleinstehende und 400 Euro für Verheiratete vorgesehen ist. „Die Rentenempfänger leben damit nur knapp über dem Sozialhilfesatz und erhalten nicht einmal Kleidergeld“, klagt Petra Rosenberg.
In den vergangen Jahren wurden die PrVG-Renten durschnittlich um 0,3 Prozent angehoben, zuletzt 2001. Im gleichen Zeitraum wurden die Leistungen der Kriegsopferfürsorge und die Versorgung der Täter und deren Witwen regelmäßig erhöht.
Der Kreis derjenigen, die als so genannte Leistungsberechtigte bezeichnet werden, ist eng definiert: Betroffen sind und waren in Berlin lebende und durch Nazigewalt verfolgte Juden, Angehörige von Widerstandsgruppen und verfolgte Kommunisten oder Sozialdemokraten, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie Euthanasie- und Sterilisationsopfer.
Um anerkannt zu werden, müssen die Betroffenen entweder zu Beginn ihrer Verfolgung in Berlin gelebt haben oder vor dem 1. Januar 1991 nach Berlin zugezogen sein. Die berlinspezifische Rente wird auf Antrag daher auch anspruchsberechtigten jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion und den ehemaligen Ostblockstaaten gezahlt.
Allein bei dieser Opfergruppe führt der Stichtag des 1. Januar 1991 zu erheblichen Ungerechtigkeiten. „Trotz häufiger Nachfrage und zahlreicher Anträge wurde dieser Stichtag nicht verändert, so dass schätzungsweise 600 überlebende Betroffene die Rente nicht mehr erhalten, sondern in der Regel von Sozialhilfe leben müssen“, kritisiert Irene Runge, Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins Berlin.
Monatlich werden drei bis vier Anträge gestellt, Tendenz fallend. Im Jahr 2001 wurden noch 87 Neuanträge eingereicht, 2003 nur noch 50, wobei 34 Antragstellende weder eine Anerkennung noch eine Versorgung erhielten. Durchschnittlich werden 20 Prozent der Anträge abgelehnt. Zudem sterben jährlich fünf Prozent der PrVG-Rentenbezieher. „Diese Wiedergutmachungsleistungen Berlins sind eingeführt worden, um den Verfolgten den Gang zum Sozialamt zu ersparen“, erinnert Rosenberg an die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers. Bei den jetzt von der geplanten Schlussstrichregelung Betroffenen handelt es sich zumeist um Überlebende, die aus dem sonstigen Bundesgebiet und aus dem Ausland, wie Argentinien, Bolivien und den USA, aber auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten nach Berlin zurückkehren oder zuziehen.
Schon jetzt wurden im Doppelhaushalt für die Jahre 2004/2005 die Leistungen aus dem PrV-Gesetz um fast die Hälfte herabgesetzt. Dabei hat das Land Berlin durch die fünfprozentige Sterberate schon im vergangenen Jahr 450.000 Euro gespart. Insgesamt zahlte das Land im vergangenen Jahr rund 16 Millionen Euro aus. Während es 1990 noch 3.500 Beziehende gab, erhielten acht Jahre später nur noch 2.400 Überlebende Rente nach dem PrVG.
Gestritten wird zwischen der Innenverwaltung und den Opferverbänden auch über die Informationspolitik rings um die geplante Gesetzesänderung. Während Irene Runge eine „heimliche Vorbereitung ohne Abstimmung mit den Verfolgtenverbänden“ kritisiert, behauptet die Innenverwaltung, es habe intensive Gespräche mit dem im Gesetz verankerten Beirat gegeben. Zudem lobt man sich in der Innenverwaltung selbst, dass mit der Gesetzesänderung eine Angleichung der Renten an die Steigerungsraten des Sozialhilfesatzes festgelegt werden solle und die Leistungsbezieher somit besser versorgt würden.
Dagegen hält die „Arbeitsgemeinschaft der Vertretungen politisch, rassisch und religiös Verfolgter“, dass in der NS-Zeit aus Berlin Vertriebene, die nach Ablauf des 31. Dezember 2004 doch noch nach Berlin zurückkehren wollen, „dann weder eine Anerkennung als politisch Verfolgte noch eine PrV-Rente erhalten“. Zusagen auf finanzielle Absicherung an ehemalige Berliner, die Senatsvertreter bei Einladungen und Empfängen gemacht hätten, würden somit nicht erfüllt werden.
Bei der PDS bemüht man sich um Schadensbegrenzung. So verweist Steffen Zillich, PDS-Abgeordneter im Innenausschuss, darauf, dass beispielsweise Betroffene, die zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung im Kindesalter waren und jetzt knapp vor dem Rentenalter stehen, auch durch die Gesetzesänderung nicht vom Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen würden. „Um diese Gruppe über den Stichtag zu informieren, sollte es eine gezielte Informationskampagne geben“, fordert Steffen Zillich.
Eine klare Position für oder gegen den Schlussstrich am 31. Dezember 2004 gibt es innerhalb der PDS jedoch nicht. „Wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass es einen Stichtag geben wird“, so Zillich.