: Es beißt allein die Schlange
Chelseas Trainer Ranieri hat ein wahres Bestiarium im Angriff zur Verfügung, doch Tore liefert meist nur Adrian Mutu. Heute beim VfB Stuttgart müssen die Londoner ohne den Rumänen auskommen
AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN
Die Saison wird er auf jeden Fall noch überstehen, aber um nach den Pleiten gegen Arsenal seinen Posten beim FC Chelsea längerfristig zu behalten, muss Coach Claudio Ranieri jetzt die Champions League gewinnen. Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich – besonders unwahrscheinlich, falls gegen den VfB Stuttgart heute Abend (20,45 Uhr, Premiere) der angeschlagene Flügelzauberer Damien Duff nur auf der Bank sitzt und, wie es aussieht, auch Stürmer Adrian Mutu wegen einer Verletzung erst im Rückspiel in zwei Wochen die Schwaben ärgern kann. So macht an der Themse schon vor dem Achtelfinale das nette Gerücht die Runde, Ranieri könnte im Sommer mit AS Roms Fabio Capello den Job tauschen.
Auch wenn es mit den Giallorossi nicht klappt, muss man sich um Ranieri wenig Sorgen machen. Der leutselige Römer kann bei Bedarf auch im Regent’s Park Zoo anheuern, in der Abteilung Raubtiere am besten. Das Fachwissen hat er. Zitat: „Jimmy Floyd Hasselbaink ist wie ein Hai, Hernán Crespo ist wie ein Löwe. Und Adrian Mutu ist wie eine Schlange.“ Leider beißen die teuren Viecher nicht so recht. Hasselbaink, der holländische Hai, sitzt meistens auf dem Trockenen, sein Vertrag wird nicht verlängert. Crespo hat eine imposante Mähne, aber wegen vieler nervender Verletzungen nur wenig Beute gemacht. Das mit den Toren bleibt also an Mutu hängen: In seiner ersten Saison hat der elegante Rumäne es geschafft, im überladenen Kader der Blues der einzige Stürmer mit Stammplatzgarantie zu werden.
Den Vergleich mit der Schlange hat der 25-Jährige, der vom AC Parma kam, seinem Trainer übrigens nicht übel genommen. Mutu ist tatsächlich einer dieser Angreifer, die 89 Minuten lang völlig unbedrohlich wirken, aber dann in der einen, entscheidenden Situation aus dem Nichts alles machen können. Arsenals Jens Lehmann war neulich im Pokalspiel noch gar nicht losgesprungen, da hatte ihm Mutu den Ball schon aus 22 Metern in die Maschen geknallt.
In der Premier League gibt es Henry, Van Nistelrooy, vielleicht noch Owen, schon bald danach kommt der technisch immens starke, gut aussehende Mann mit der Sieben. In seiner Heimat ist er der größte Held seit Hagi, Adrian und seine (inzwischen geschiedene) Frau Alexandra wurden dreimal hintereinander zum Paar des Landes gewählt. Als Ranieri ihn politisch leicht unkorrekt als seinen „positiven Zigeuner-Mann“ bezeichnete, wiegelte Mutu ab: „Ich weiß, er hat es nett gemeint.“
Der Mann ist auch in anderer Hinsicht kein Durchschnittskicker. Der Independent lobte ihn als den „Fußballspieler für Männer, die denken“, weil er in seiner Freizeit nicht Nintendo spielt, sondern an der Uni Bukarest im achten Semester Jura studiert und eine Schwäche für Literatur hat. „Das geschriebene Wort ist wichtig für mich“, sagt er ernst, „richtig eingesetzt, kann es jede Mauer durchbrechen. Oder unüberwindbare Barrieren schaffen.“ Zur Zeit liegt Dostojewskis „Idiot“ auf seinem Nachtkästchen. „Aber schreiben Sie nicht, dass ich ein Philosoph bin“, hat er die Sunday Times gebeten: In England bekam der ehemalige Chelsea-Spieler Graeme Le Saux in fremden Stadien lange schwulenfeindliche Gesänge zu hören, weil er sich einst als Leser des linksliberalen Guardian geoutet hatte.
Es dürfte außer Mutu auch nur wenige Profis geben, die ein ausgeprägtes Interesse an Mathematik haben – seine Eltern Spirido und Rodica, die im Städtchen Pitești als Computerprogrammierer arbeiteten, gaben Adrian und seiner Schwester Laura nach dem Essen gerne mathematische Rätsel zu knacken. „Sie studiert jetzt Mathematik, vielleicht werde ich das eines Tages auch noch machen“, sagt Mutu.
Der Fußball stand trotz all der Hobbys aber immer an erster Stelle: Als sein Vater dem Dreijährigen die ersten Fußballschuhe kaufte, ging er mit ihnen ins Bett. Und auch den ersten eigenen Lederball nahm er mit sechs jede Nacht unter die Decke und am Morgen mit in die Badewanne. „Als mein Vater mich damit erwischte, wurde ich verprügelt, weil ich ihn mit Geld gekauft hatte, das ich meinem Großvater gestohlen hatte“, erinnert er sich. „Aber am Ende war er nicht böse, weil er sah, dass Fußball meine Leidenschaft war.“
Sogar eine Filmkarriere hat man ihm in Rumänien angeboten, fast hätte er den jungen Ceaușescu verkörpert: „Ich glaube, ich bevorzuge aber das Theater – wegen der Zuschauer.“ Letztendlich sind ihm die positiven Kritiken jedoch egal: „Um ein großer Spieler zu sein, musst du Pokale holen.“ Mit Hilfe der rumänischen Schlange wird Chelsea das schon schaffen.