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Archiv-Artikel

Das Gespenst vom Nachahmungstäter

Neuerliche Busentführung beunruhigt Polizei und die Berliner Verkehrsbetriebe. Sicherheitsvorkehrungen sollen bislang aber nicht verschärft werden. Für die Busfahrer gilt als oberste Maxime: Ruhe und Umsicht bewahren

Von PLU

Es war die zweite Busentführung in Berlin und die dritte in Deutschland binnen weniger Wochen, und es steht zu befürchten, dass es nicht die letzte gewesen ist: Ein mit einem Messer bewaffneter Libanese hat am Sonntagabend einen BVG-Linienbus mit acht Fahrgästen in seine Gewalt gebracht. Die Geiselnahme ging nach 40 Minuten ohne Blutvergießen zu Ende, weil sich der Mann der Polizei ergab. Mit Blick auf die vorangegangenen Fälle haben die Verkehrsunternehmen Sorge, dass es zu Nachahmertaten kommen könnte. „Wir sind mit der Polizei in Kontakt“, bestätigt BVG-Sprecherin Barbara Mansfield. An einem neuen Sicherheitskonzept werde aber nicht gearbeitet. „Solche Taten“, räumt sie unumwunden ein, „sind nicht zu verhindern.“

Demgegenüber kündigte der Sprecher des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Friedhelm Bien, an, es solle geprüft werden, ob und wie die Situation verbessert werden könne. „Allemal besser“ als jede technische Zusatzausrüstung in den Bussen sei, über die Medien zu zeigen, „dass ein Busentführer durch eine solche Tat noch nie sein Ziel erreicht hat“.

Der 27-jährige Libanese hatte den Linienbus X 21 gegen 20.30 Uhr an der Haltestelle U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Damm in Reinickendorf gekapert. Die einzige Forderung des nach Angaben von Zeugen geistig verwirrt wirkenden Mannes: Israel solle sich aus den Palästinensergebieten zurückziehen. „Er hat das Messer gezogen, Menschen bedroht und dem Busfahrer Anweisungen gegeben“, beschrieb der Einsatzleiter der Polizei den Tathergang. Eine fünfköpfige Familie unter den Fahrgästen ließ der Täter bereits nach kurzer Zeit frei. Mit den verbleibenden drei Fahrgästen und dem Fahrer blieb der Mann in dem Bus, der von zahlreichen Polizeiwagen umzingelt war. Der Busfahrer hatte die Zentrale heimlich über Funk informiert. Gegen 21 Uhr gelang es einem Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei, den Geiselnehmer durch Gespräche zur Aufgabe zu bewegen.

Gestern wurde der in Beirut geborene Mann einem Haftrichter vorgeführt. Das Ergebnis war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Nach Angaben von Justizsprecher Jörn Retzlaff ist denkbar, dass er in ein geschlossenes psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wird.

Erst am vorigen Freitag hatte in Bremen ein 17-jähriger Libanese mit deutschem Pass einen Bus mit 16 Fahrgästen entführt, dann aber aufgegeben. In Briefen hatte er sich zuvor als Gotteskrieger im Kampf gegen Israel bezeichnet. Vor zwei Wochen hatte ein 46-jähriger einschlägig Vorbestrafter in Berlin nach einem Banküberfall einen BVG-Bus entführt. Nach viereinhalb Stunden stürmte das SEK den Bus und setzte den Täter durch einen Schuss in die Schulter außer Gefecht.

Nach dem Fall vom Sonntag rechnet die Polizei verstärkt mit Nachahmertaten. Offiziell will dies aber niemand bestätigen. Gegen eine Busentführung gebe es kein Patentrezept, sagt ein Beamter zur taz. Der Fahrer sei in so einer Lage gut beraten, „Ruhe und Umsicht zu bewahren, damit es zu keiner eskalierenden Handlung kommt“. PLU

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