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Archiv-Artikel

Die Aldi-Entführung

Die Berliner Geiselnahme war eine Trittbrettfahrt. Experten: Busentführungen sind billig und effektvoll

BERLIN afp/ap/taz ■ Psychisch krank – diese Diagnose stellte die Berliner Justiz dem 17-jährigen Libanesen, der am Sonntagabend einen Berliner Linienbus entführt hatte. Die Geiselnahme war nach nur vierzig Minuten unblutig zu Ende gegangen. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen, hieß es gestern. Aber dafür, dass der Mann psychiatrisch behandelt werden müsse, gebe es erste Anzeichen, so ein Justizsprecher.

Anzeichen dafür, dass dies auf absehbare Zeit die letzte Busentführung gewesen sein wird, sind hingegen schwerer auszumachen. Das glauben zumindest die einschlägigen Experten. Eine Nachahmungswelle sieht der Polizeipsychologe Adolf Gallwitz auf deutsche Großstädte zurollen. Besonders gefährdet seien Ballungsräume mit großem Wohlstandsgefälle – und multikultureller Bevölkerung. „In Deutschland gibt es Volksgruppen, die sich besonders benachteiligt fühlen“, sagte Gallwitz.

Auch der Töpfchen-Theoretiker Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen sieht das so. Spektakuläre Entführungen wie die in Berlin vor zwei Wochen, die live von den Medien übertragen werden, motivierten zum Nachahmen, so Pfeiffer. Er kennt auch die Klientel künftiger Busentführungen. Trittbrettfahrer seien labile Menschen, hätten erhebliches kriminelles Potenzial und fühlten sich als Verlierertypen. Das werden sie auch bleiben, glaubt Pfeiffer. Denn Busentführungen hätten sich weder international noch national als Erfolgsmodell erwiesen.

Für Berufspendler ist trotzdem keine Panik angesagt. Zwar seien Busentführungen einfach umzusetzen und besonders preiswert. Dennoch schätzt Gallwitz das Sicherheitsrisiko nicht höher ein als bisher. Gallwitz nannte weder dafür noch für seine Behauptung, bestimmte „Volksgruppen“ brächten vermehrt Busentführer hervor, eine Begründung. MATTHIAS BRAUN