: Kanzler zwingt SPD zum Mitmachen
Der Leitantrag der SPD für den Sonderparteitag im Juni ist beschlossen. Er bietet dem kleinen Sozi so viel Platz zum Mitdiskutieren, dass er ihn, bitte schön, auch im Sinne des Kanzlers nutzen soll. Ansonsten ziehe Schröder „Konsequenzen“
von CHRISTIAN FÜLLER
Der Gegenwind von der SPD-Basis gegen die eigene Bundesregierung wird von Tag zu Tag schwächer. Denn die Granden der Partei binden die internen Kritiker des Regierungsprogramms „Agenda 2010“ zusehends ein. Gestern beschloss der SPD-Vorstand mit vier Gegenstimmen den Leitantrag für den Sonderparteitag – mit einer Einladung zum Mitmachen. Das 25-seitige Reformpapier, das der taz vorliegt, soll am 1. Juni ein Sonderparteitag der SPD beschließen.
Der Leitantrag war noch nicht verabschiedet, da signalisierte bereits einer der Sprecher der Schröder-Kritiker, der Bundestagsabgeordnete Michael Müller, Zustimmung. Der Antrag sei eine geeignete Diskussionsbasis, sagte Müller, der Sprecher der „Parlamentarischen Linken“. Er war Mitautor eines Alternativentwurfs zu den Sozialreformen, wie sie Bundeskanzler Gerhard Schröder plant.
Der Kanzler hat gestern jedoch zugleich deutlich gemacht, dass er grundsätzliche Veränderungen an seiner Reformagenda – Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, Einschränkung des Kündigungsschutzes etc. – nicht dulden will. Noch vor der gestrigen Sitzung des Parteivorstandes sagte er: Wer etwas anderes beschließen wolle, müsse wissen, „dass er mich zu Konsequenzen zwingt“. Das war eine wenig verschlüsselte Rücktrittsdrohung, die die Kritiker seines Kurses einschüchtern sollte. Der Bundeskanzler hielt seiner Partei vor Augen, dass die Grundlinie der so genannten Agenda 2010 nicht verändert werden könne, weil sonst der Regierungsarbeit die inhaltliche Grundlage entzogen sei.
Der Leitantrag dürfte indes beinahe allen parteiinternen OpponentInnen genügend Platz zum Mitdiskutieren bieten. Der Antrag ist kein hermetisches Papier, sondern beginnt mit fünf offenen Fragen, an denen sich die Parteimitglieder abarbeiten können. In Arbeitsgruppen soll zum Beispiel geklärt werden, wie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auszugestalten sei und welche Konsequenzen sich für 55-Jährige nach dem Fortfall des Arbeitslosengeldes ergeben dürften. Dass die Fragen ein prinzipielles Umsteuern der Schröder-Agenda nicht erlauben, wird manchen diskussionsfreudigen Sozi nicht sogleich stören.
Die Verfasser des Leitantrages umschmeicheln zudem die Seele der Partei. Nur SozialdemokratInnen könnten, so heißt es, „in einer Welt, die sich immer schneller ändert, soziale Sicherheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleisten“. Daraus folgt: „Entweder wir modernisieren unsere soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert – und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes.“
Dennoch blieben, „für die Stabilität des Landes“, starke Arbeitnehmervertretungen unverzichtbar. „Deshalb werden wir sowohl die Mitbestimmung, die Tarifautonomie und den Flächentarifvertrag erhalten.“ So weit die Angebote Gerhard Schröders an seine Partei.
Im Übrigen halten er und die SPD-Spitze aber an den wesentlichen Reformpunkten fest, die Schröder bereits im Bundestag verkündet hatte. In dem Antrag heißt es, es sei notwendig, das Arbeitslosengeld grundsätzlich auf zwölf Monate und auf 18 Monate für Arbeitslose ab 55 Jahren zu verkürzen. An den Änderungen für den Kündigungsschutz wird ebenso festgehalten wie an der Abgeltungssteuer für Zinserträge, die die Linke ablehnt. In der Rentenversicherung zeigt sich die Partei offen für eine neue Formel zur Berechnung der Altersbezüge, die zu einem langsameren Rentenanstieg führen würde. Zentrales Ziel sei es, bis 2010 Vollbeschäftigung zu erreichen.