Steuern angleichen

Fünf Fragen zur künftigen Wirtschaftspolitik der EU

taz: Frau Karrass, die Europäische Union hat eine gemeinsame Währung, braucht sie jetzt nicht endlich auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik?

Anne Karrass: Ja, sie braucht diese Wirtschaftspolitik. Was sie aber vor allem braucht, ist eine stärkere Kooperation bei der Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Die sozialen Unterschiede in der EU müssen weiter abgebaut werden. Aber auch das demokratische Prinzip in diesem Bereich muss gestärkt werden. Möglich sein müsste, dass die Kommission alle drei Jahre Leitlinien für die wirtschaftlichen, beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele festlegt. Zum Beispiel die Senkung der Anzahl der Sozialhilfeempfänger. Darüber sollte dann das EP mitentscheiden. So würde es eine breitere öffentliche Debatte über Ziele und Prioritäten geben, man könnte Druck ausüben. In Zukunft könnte die Kommission auch vorschlagen, in allen Ländern ein prozentual einheitliches Grundeinkommen zu garantieren.

Sollten die Steuersätze in allen EU-Staaten gleich hoch sein?

Ganz harmonisieren kann man die Steuern natürlich nicht. Zum Beispiel werden in den skandinavischen Ländern die Sozialsysteme sehr stark über Steuern finanziert, in Kontinentaleuropa aber über Abgaben. Angleichen kann man die Steuern aber in den Bereichen, in denen es jetzt schon einen schädlichen Wettbewerb zwischen den Staaten um die niedrigsten Sätze gibt. Bei der Unternehmensteuer oder der Kapitalsteuer etwa.

Der EU-Haushalt wird über Zölle, Mehrwertsteuer und Direktzahlungen finanziert. Das ist sehr undurchsichtig. Wäre es daher nicht sinnvoll, eine EU-Steuer einzuführen?

Die Begeisterung für die EU wird sicher nicht wachsen, wenn man eine EU-Steuer, die jeder Bürger zahlen muss, einführt. In Deutschland haben viele ja jetzt schon das Gefühl, dass zu viel Geld nach Brüssel geht. Man könnte aber nach einer Harmonisierung der Unternehmensteuer einen bestimmten Anteil davon an die EU-Kasse abführen. Das wäre auch deshalb gerecht, weil die Unternehmen bisher am meisten von der EU profitieren.

Soll der Stabilitätspakt in die Verfassung aufgenommen werden?

Auf keinen Fall. In eine Verfassung gehören grundsätzliche Werte und Ziele. Und keine wirtschaftstheoretischen Überlegungen, die noch dazu umstritten sind. Würde die Dreiprozentgrenze in die Verfassung geschrieben, hätten die Regierungen keine Möglichkeit mehr, flexibel auf Konjunkturänderungen zu reagieren. Ich lehne den Stabilitätspakt grundsätzlich ab, weil er in vielen Ländern zu Kürzungen im sozialen Bereich führt – oder zumindest als Rückendeckung für Kürzungen dient.

Was erwartet Ihre Organisation bei diesen wirtschaftspolitischen Fragen vom Konvent?

Wir veranstalten vom 15. bis 18. Mai in Regensburg einen öffentlichen Kongress zum Thema Europa, auf dem wir darüber diskutieren. Ein Ziel müsste aber sein, dass die Wirtschaftspolitik nicht mehr im Mittelpunkt aller EU-Politiken steht. Vielmehr müsste die EU genutzt werden, um der Globaliserung etwas entgegenzusetzen. Ein anderes Modell von Wirtschaft und Gesellschaft müsste erarbeitet werden. Diese Chance hat der Konvent leider nicht genutzt.INTERVIEW: SABINE HERRE