: Landkarte unter der Haut
Für ihn sind antike Rollenvorbilder allgegenwärtig: Albert Ostermaiers „Auf Sand“ gleicht nicht zufällig dem griechischen Mythos von Paris und Helena. Uraufführung im Thalia in der Gaußstraße
von KATRIN JÄGER
Ein Urlaubstag: Eine Frau (Susanne Wolff) und ein Mann (Karoline Eichhorn) lümmeln sich am Strand, genießen die Ruhe, die Wärme und das Meer in einer einsamen Bucht. Doch als das Boot nicht kommt, um sie wieder abzuholen, ist es mit der Idylle vorbei. Angst macht sich breit. Vor sich selbst, vor der Liebe zwischen den beiden, die vielleicht gar nicht so stabil, sondern nur auf Sand gebaut zu sein scheint, wie eine Strandburg. „Relativ schnell kommt es zu leichten Misstönen zwischen den Liebenden“, erzählt Sonja Anders, Dramaturgin des Albert-Ostermaier-Stücks Auf Sand, das jetzt im Thalia in der Gaußstraße uraufgeführt wird. Die Frau im Stück hatte nämlich mal ein Verhältnis mit einem anderen Mann, und diese alte Geschichte schwelt noch zwischen den beiden.
Plötzlich taucht, wie aus dem Nichts, ein weiterer Mann (Christoph Bantzer) auf, „der sich in jeder Hinsicht ein wenig seltsam benimmt. Profan gesagt: Ein durchgeknallter Strandbewohner“. Der will Streit, aber richtig. Während sich die Frau ins Wasser verzieht, spitzt sich die Situation zwischen den beiden Männern zu. Und genau an diesem Punkt durchbricht Albert Ostermaier die lineare Erzählweise. „Es kommen Monologe ins Spiel, in denen immer wieder Troja eine Rolle spielt“, erklärt Anders. Man erinnert sich: In der griechischen Sage vom Trojanischen Krieg geht es um die schöne Helena, Frau des Menelaos, König von Sparta. Der Jüngling Paris veliebt sich in Helena und entführt sie in seine Heimat, nach Troja. Menelaos hetzt daraufhin griechische Truppen gegen den Stadtstaat Troja. Der grausame Griechenheld Achill metzelt, was das Zeug hält. Sein Gegenspieler auf trojanischer Seite, Hektor, kommt nach zehnjähriger Schlacht schließlich um.
Es geht also um Liebe und Krieg, im trojanischen Mythos genauso wie in Ostermaiers Stück. Aber es geht nicht um Geschlechterstereotypen, wie der Autor betont: „Es geht vielmehr um die Anteile dieser Typologien in beiden Geschlechtern, ihre Instrumentalisierung, über die posttraumatischen Schäden. Es geht um Ablagerungen des Krieges, die Mutation, die er in den Menschen auslöst. Es geht auch um die Möglichkeit der Liebe, die oft unmöglich ist.“
Liebe in allen ihren Formen ist hier Thema – unabhängig von den Geschlechtern der Liebenden. Deshalb hat Regisseur Martin Kusej die Rolle des ersten Mannes mit Karoline Eichhorn besetzt. Nach Ostermaiers These, dass „die Menschen unserer Zeit die antiken Rollenvorbilder wie eine Landkarte unter ihrer Haut tragen“, wäre dieser erste Mann Hektor, der gutmütige, faire, der liebende Mann. Und die Frau wäre Andromache, Hektors Ehefrau. Der durchgeknallte Fremde stünde in dieser Lesart für Achill, den stolzen, grausamen Kämpfer.
Doch Ostermaiers Text und Kusejs Umsetzung machen eine solch direkte Übertragung allerdings letzten Endes unmöglich. Denn die Handlung in Auf Sand eskaliert, der Text zersplittert, die Handlungsebenen bersten. „Es geht um die Zersplitterung von Momenten, die Zersplitterung einer Geschichte, eines Lebens, der Geschichte der Kriege.“ Das soll die Musik von Bert Wrede unterstreichen, so will es Kusej, der auch als Opernregisseur arbeitet. Auf Sand ist somit eine Art Work in Progress. Das Thalia Theater hat es bei dem Lyriker Ostermaier in Auftrag gegeben. Zu Probenbeginn kam er mit seiner ersten Fassung. Zusammen mit Kusej und den SchauspielerInnen entwickelte er es weiter, schriftliche Entwürfe und die Umsetzungen auf der Bühne beeinflussten einander.
Auch die Schatten des Irakkriegs flossen mit ein. „Es war von Anfang an klar, dass dieser Krieg, der uns alle sehr wütend gemacht hat, auch gemeint sein muss. Selbst wenn es im Stück keinerlei konkrete Hinweise darauf gibt. Man soll nicht drum herum kommen, darüber zu sprechen: Was heißt Krieg für uns heute?“ erläutert Anders. Dazu wird das Publikum Gelegenheit haben, in Gesprächen nach den Aufführungen. „Allerdings nicht nach der Uraufführung“, sagt die Dramaturgin. Wer sich das Stück im Buchhandel besorgen möchte, wird übrigens leer ausgehen. Denn bis zum letzten Probentag versucht das Team, zum Wesentlichen zu gelangen: „Körper und Sprache“, so Ostermaier. Die Printausgabe folgt deshalb später.
Uraufführung: Sonnabend, 3.5., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße. Weitere Aufführungen am 4., 15., 17., 31.5.