Jungsein heißt dazulernen

Der SWR möchte den Dokumentarfilm wiederbeleben. Mit „jungen Dokus“. Heute startet die erste

VON JENNI ZYLKA

Das klingt doch vielversprechend: Der SWR möchte den Dokumentarfilm wiederbeleben. Mit sieben „jungen Dokus“ (Eigenaussage) will er ab sofort den späten Donnerstagabend versorgen. Unterschiedlichste Themen und Formate, aber leider auch unterschiedliche Niveaus hat er dafür zusammengetragen.

„Im Rhythmus der Stille“ ist der erste Film der ambitionierten neuen Staffel und ein Porträt einer jungen Balletttänzerin, die außer schön, grazil und gelenkig auch noch taub ist – nicht gerade die typische Voraussetzung für das Arbeiten mit und nach Musik. Der Film von Joachim Bihrer und Claus Hanischdörfer begleitet Sarah Neef bei den Vorbereitungen für eine Theateraufführung, bei der sie zu Klavier- und Cellobegleitung tanzen wird, zeigt sie bei den Vorbesprechungen mit den Musikern, die ihr die Musik anders als über die üblichen Höreindrücke verständlich machen müssen.

Sarah Neefs Glück waren ihre umtriebigen Eltern, die die Tochter zu einer Sprachlehrerin brachten, bei der sie Sprechen ohne zu Hören lernte – so gut, dass sie ihre Abiturprüfungen in Bildender Kunst und Französisch später mit 15 Punkten abschließen konnte. Neef redet, geht und tanzt mit unerschütterlichem Selbstvertrauen durch ihre weitgehend stille Welt, die sich auch mit Hörgerät von dem Krach, der die Hörenden täglich umspült, unterscheidet.

Ein eigenes Filmsoundkonzept versucht, die ungewöhnlichen Höreindrücke der Sarah Neef einzufangen und den Hörenden zu präsentieren, und das tonale Experiment gelingt meistens. Unterstützt wird es von Neefs offenen Gedanken zu ihrer Situation.

In „Wir sind zusammen“ sprechen vier Hetero-Paare über die Liebe und ihre zeitweise irritierenden Folgen. Die blondierten Teenies aus der Hochhaussiedlung in Berlins dreckigem Vorgarten streiten sich über Table Dance, Verhütung und Treue. Eine süddeutsche Surfermaus holt ihre neue, marokkanische Liebe vom Flughafen ab, um sie zu heiraten und gemeinsam über alle Sprach-, Kultur- und Religionsunterschiede hinwegzusehen. Eine pragmatische Macherin vernachlässigt ihre Familie gegenüber dem Geschäft, und ein berlinerndes Raucherpärchen schlägt sich mit nicht funktionierenden Hormoneinnahmen zum Schwangerwerden und den Schwierigkeiten des Zusammenziehens herum – er will nicht auf seine Cassettensammlung mit alten, aufgenommenen Schallplatten verzichten.

Das ist manchmal bekannt, manchmal skurril, manchmal bemitleidenswert, manchmal respektlos. Leider verschwimmt der Film schnell auf der formalen Ebene – die Bilder sind größtenteils zu dunkel und dadurch zu unklar, um zu wirken. Entweder war beim kompletten Dreh die Kamera kaputt, oder die schwummerige Nachtatmosphäre ist schiefes Programm.

Die meisten der „jungen Dokumentarfilme“ kommen ohne Off-Kommentar aus, sie lassen ihre HeldInnen sprechen. Bestimmt ist das ein Fortschritt gegenüber dem so langweiligen wie altbewährten Konzept des Zugetextet-Werdens ab der 15. Sekunde. Zwar überzeugen die Handschriften nicht immer, doch könnte Jungsein in diesem Fall vielleicht auch bedeuten, dass die MacherInnen bereit sind, noch etwas dazuzulernen.