: Bewegt sich, macht Krach
Michael Pflüger entwickelt Apparate, hinter denen mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Ein Besuch in seiner „Werkstatt für allerlei Eigensinniges“ in der Eppendorfer Landstraße
VON KNUD KNÖPFEL
Kommt ein Kunde in die „Werkstatt für allerlei Eigensinniges“ von Michael Pflüger, wird er nicht vom Inhaber begrüßt. Sondern von einer Handschüttelmaschine. Es ist eine Frauenhand aus Messing an einem Metallstab. Der Stab führt zu einer Konstruktion aus weiteren Stäben, welche in einer Messingröhre enden. Die Stäbe sind untereinander verbunden – insgesamt ein wirres Gebilde.
Streckt man Pflügers Handschüttelmaschine die Hand entgegen, kommt zur Kälte des Metalls ein solcher Krach, dass man wünscht, sie übersehen zu haben. Pflüger steckt sich eine Zigarre an, er freut sich diebisch über „Dinge, die sich bewegen und laut sind“. Die Kunden sollen ruhig seine Werke ausprobieren, meint er.
Pflüger ist 54 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Er trägt einen weinroten Strickpullover, den nächsten strickt er sich selbst, über seinem Blaumann. Er ist gelernter Goldschmied, hat Grafik und Kunstgeschichte in Karlsruhe studiert. Die Laden-Werkstatt hat er 1986 eröffnet.
Pflüger mag Pfeffermühlen. Und Zeichenstifte. In seiner Werkstatt gibt es einen Stift an einem mit vier Zahnrädern versehenen Arm, der malt geschätzte 18 Millionen Linien auf ein einziges Stück Papier. Und zwar 18 Million verschiedene. Kunden, die versuchen, zweimal den gleichen Strich zu zeichnen, verzweifeln, weil Pflügers Maschine genau dies nicht macht.
Wenn man durch den Laden geht, bleibt man unweigerlich bei der Maschine mit der golden glänzenden Messingkugel hängen. Die Kugel ist die Sonne. Die Erde aus Plastik ist winzig, der Plastikmond so klein wie ein Stecknadelkopf. Dies ist Pflügers Modell der Bewegungen von Sonne, Mond und Erde. Am Sockel ist eine Kurbel, wenn man sie dreht, dreht sich die Erde um die Sonne und der Mond um die Erde. Pflüger mag diese Maschine, weil sie „die Größenordnung von Mensch und Universum zeigt“.
Hinter vielen seiner Werke stecke mehr, als man im ersten Moment bemerke, sagt Pflüger. Dies gilt auch für das „Zählwerk“, dessen Sinn nur darin besteht, seine eigenen Kurbelumdrehungen zu zählen. Es besteht aus 13 Scheiben, auf jeder stehen die Zahlen Null bis Neun. Diese 13 Scheiben werden von 13 Zahnrädern bewegt. Eine Kurbel bewegt die Zahnräder und steigert damit die Zahlen auf den Scheiben. Pflüger hat die Scheiben im März 2005 auf Null gestellt, „jetzt zeigen sie schon 81.836“. Das 13-stellige Zählwerk reicht bis 100 Milliarden, und weist damit, so Pflüger, „den direkten Weg in die schiere Unendlichkeit“. Unweigerlich kurbelt man an der 3.200 Euro teuren Maschine, um die höheren Scheiben zum Drehen zu bringen, während Pflüger Zigarre paffend zusieht.
Pflüger zeichnet die Entwürfe seiner Maschinen mit von ihm entworfenen Kugelschreibern. Zwischen 50 und 60 Kugelschreiber und Graphitstifte liegen im Schaufenster, in den Auslagen des Ladens, auf den Werkbänken und seinem Schreibtisch. Sie haben verschiedene Formen und Größen, ihre Gehäuse bestehen aus Holz, Messing und Silber.
Entscheidender als die Minen ist die Länge seiner Schreibgeräte. Einige sind überraschend kurz. Aus einem Fach holt Pflüger ein Päckchen mit zwei Graphitstiften. Die hat er für eine Hamburger Künstlerin gemacht, die Menschen, Gebäude und Stillleben zeichnet. Sie legt Wert auf dicke Graphitminen, trotzdem sollen ihre Stifte gut zu führen sein. Pflüger schafft das, indem er deren Schwerpunkt weit nach vorne verschiebt. Die Künstlerin wünschte ein Gehäuse aus Plastik. Pflüger, der normalerweise Holz oder Metalle für seine Stifte bevorzugt, bekam auch das hin.
Pflüger sucht gern „nach neuen Problemstellungen“. Je größer die Herausforderung „desto mehr Spaß habe ich“, sagt er. Das gilt auch für seine Salz- und Pfeffermühlen. Die haben einen Design-Preis gewonnen. Welchen? Er denkt nach, saugt an der Zigarre, erinnert sich aber nicht. Preise sind ihm egal, die Qualität der Mühlen nicht. „Sie haben ein spezielles Mahlwerk.“ Er parkt seine Zigarre im Aschenbecher, schnappt sich eine Mühle, und schon rieselt gemahlener Pfeffer auf den Tisch. Diese Mühlen hielten „über Generationen“, sagt Pflüger. „Vorausgesetzt man quält sie nicht durchs Zerkleinern von Kieselsteinen.“
Derzeit tüftelt Pflüger an röhrenförmigen Instrumenten aus Messing – sie klingen ohrenbetäubend und dissonant. „Die eignen sich für Sportstadien“, sagt er. Er wird sie bei einem Handballspiel seiner Tochter einsetzen und damit alle zu Tode erschrecken.
Werkstatt für Allerlei Eigensinniges, Eppendorfer Landstraße 125, 20251 Hamburg. ☎ 040 / 46 05 02 4
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